aa) Begriff
Rz. 74
Eine Bewertung von Kapitalforderungen und Schulden abweichend vom Nennwert ist zulässig, wenn "besondere Umstände" einen höheren oder geringeren Wert begründen (§ 12 Abs. 1 BewG).
Rz. 75
Eine begriffliche Bestimmung, was als besonderer Umstand i.S. dieser Vorschrift anzusehen ist, findet sich im Bewertungsgesetz nicht. Es erscheint auch nicht möglich, eine über den Einzelfall hinausgehende Auslegung zu geben. § 12 BewG regelt ausdrücklich nur zwei Fälle, und zwar im Absatz 2 die uneinbringlichen Forderungen und im Absatz 3 die unverzinslichen Forderungen und Schulden. So ist es erklärlich, dass sich die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen mit der Frage befassen musste, wann besondere Umstände vorliegen, die zu einer vom Nennwert abweichenden Bewertung berechtigen.
Rz. 76
Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich gewisse Grundsätze, die jedoch nicht uneingeschränkt gelten, weil es sich bei dem "besonderen Umstand" um ein Merkmal handelt, das i.d.R. seine Bedeutung beim Einzelfall erlangt.
- In positiver Hinsicht wird der Begriff "besonderer Umstand" von der Rechtsprechung dahin abgegrenzt, dass der besondere Umstand der Forderung selbst innewohnen, ihr also immanent sein müsse.
- In negativer Hinsicht ist anzuführen, dass Umstände, die auf dem Kapitalmarkt oder dem gerade in Betracht kommenden Ausschnitt des Kapitalmarktes allgemein anzutreffen sind und mit denen sich jeder Gläubiger abfinden muss, nicht als besondere Umstände i.S. des § 12 BewG angesehen werden können.
- Ebenso können allgemeine Verhältnisse (z.B. die allgemeine volkswirtschaftliche Lage), die alle Gläubiger gleichmäßig treffen, keine besonderen Umstände darstellen; das ist schon begrifflich nicht möglich.
Rz. 77
Als sonstige besondere Umstände, die nach § 12 Abs. 1 BewG eine Bewertung rechtfertigen, die vom Nennwert abweicht, sind folgende Fälle zu nennen:
- zweifelhafte Forderungen, also Forderungen, die (noch nicht) uneinbringlich aber auch nicht sicher sind. Sie können je nach dem Grad der Zweifelhaftigkeit entsprechend mit einem niedrigeren Schätzwert als dem Nennwert angesetzt werden (wegen der Abgrenzung zwischen uneinbringlichen und zweifelhaften Forderungen siehe nachfolgend Anm. 143).
- Forderungen, die gegen einen ausländischen Schuldner gerichtet sind und bei denen der Forderungsbetrag in dem ausländischen Staat verbleiben muss, da er dort reinvestiert werden muss.
Rz. 78
Nach § 12 Abs. 3 BewG werden unverzinsliche Kapitalforderungen und Kapitalschulden, die nach den Verhältnissen vom jeweiligen Bewertungsstichtag noch eine Laufzeit von mehr als einem Jahr haben und die zu einem bestimmten Termin fällig werden, mit dem in dieser Vorschrift näher bestimmten abgezinsten Nennwert angesetzt. Kapitalforderungen, die unverzinslich sind und die nicht zu einem bestimmten Termin fällig werden sind unter Umständen mit einem niedrigeren Wert zu bewerten.
Rz. 79
Wie bereits unter Anm. 21 angeführt, finden § 9 Abs. 2 und § 3 BewG im Bereich des § 12 BewG keine Anwendung. § 9 Abs. 2 BewG, der die "persönlichen Verhältnisse" bei der Bewertung außer Betracht lässt, verhindert daher nicht, dass im Rahmen des § 12 Abs. 1 BewG die "persönlichen Verhältnisse" bei den "besonderen Umständen" zu berücksichtigen sind. Der BFH führt hierzu aus:
Eine Forderung habe – anders als die Vermögenswerte, die nach § 9 BewG zu bewerten sind – keinen "Preis", sie sei auch nicht Gegenstand des "gewöhnlichen Geschäftsverkehrs". Man könne auch nicht von ihrer "Beschaffenheit" sprechen und sie sei auch nicht zur "Veräußerung" bestimmt. Vor diesem Hintergrund sei es gerechtfertigt, bei der Ermittlung des gemeinen Wertes nach § 9 BewG entsprechend § 9 Abs. 2 BewG die "persönlichen Verhältnisse" außer Betracht zu lassen. Andererseits seien aber im Rahmen des § 12 Abs. 1 BewG ausdrücklich die "besonderen Umstände" zu berücksichtigen. Für die Forderungsbewertung könnten daher auch persönliche Verhältnisse berücksichtigt werden. Da die Wirtschaftsgüter des Handels grundsätzlich von Natur gegeben seien, würde ihre Beschaffenheit auch durch die tatsächlichen Verhältnisse und Gegebenheiten begründet. Diese tatsächlichen Verhältnisse und Gegebenheiten seien losgelöst von der Person des Berechtigten objektiv vorhanden. Eine Berücksichtigung der Verhältnisse der Person des Berechtigten spiele daher für diese Bewertung keine Rolle.
Forderungen dagegen würden aufgrund eines Schuldverhältnisses entstehen. Diese seien aber der Ausdruck eines Rechtsverhältnisses zwischen zwei oder mehreren Personen. Damit sind nach Auffassung des BFH Forderungen notwendig persönlichkeitsbezogen. Im Ergebnis vertritt der BFH daher die Auffassung, dass dann, wenn sich die persönlichen Verhältnisse im Inhalt der Forderung niedergeschlagen – sie mitgeprägt – haben, sie auch bei der Bewertung zu berücksichtigen sind.
Rz. 80
Im entschiedenen Fall war die Frage zu beantworten, ob e...