Rz. 1
In § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG hat der Gesetzgeber die Belastungsentscheidung getroffen, den Erwerb von Todes wegen zu besteuern. Daran knüpft § 3 ErbStG an. Er nennt die Vorgänge, die als Erwerb von Todes wegen gelten. Die Regelung ist nach allgemeiner Meinung abschließend. Ein Erwerb, der dort nicht erwähnt ist, kann nicht durch Rückgriff auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG oder in analoger Anwendung eines in § 3 ErbStG enthaltenen Tatbestandes besteuert werden. Gleichwohl ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten, seine Belastungsentscheidung folgerichtig i.S. der gebotenen Belastungsgleichheit umzusetzen. Folgerichtig bedeutet unter anderem, dass die Entscheidung vollständig umgesetzt werden muss. Ob das geschehen ist, lässt sich nur durch einen Rückgriff auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG beurteilen, und zwar durch Auslegung des dort verwendeten Begriffs "Erwerb von Todes wegen".
Rz. 2
Da in § 3 ErbStG nicht erwähnt, bleiben z.B. die nur anlässlich des Todes erworbenen gesetzlichen Renten- und Pensionsansprüche von Hinterbliebenen oder Schadenersatzansprüche nach §§ 844, 845 BGB unbesteuert. Gleiches gilt für den Vorteil aus dem Wegfall einer Verbindlichkeit oder einer dinglichen Belastung mit dem Tod des Berechtigten, wenn das Recht (z.B. eine Leibrente, ein Nießbrauchsrecht) seinem Inhalt nach von vornherein auf die Lebenszeit des Inhabers begrenzt war. Denn das, was auf Grund einer Bedingung oder Befristung beim Tod des Erblassers erlischt, gehört nicht zum Erwerb durch Erbanfall.
Rz. 3
Es verwundert, dass der Gesetzgeber in § 3 ErbStG nicht sagt, was ein Erwerb von Todes wegen ist, sondern nur, was "als Erwerb von Todes wegen gilt". Damit wählt er eine Begrifflichkeit, mit der üblicherweise eine Fiktion ausgedrückt wird. Aber wenn der Erwerb durch Erbfolge kein Erwerb von Todes wegen ist, was dann? Ohnehin ist der Terminus "Erwerb von Todes wegen" keine ontologische Kategorie, die den Gesetzgeber bindet. Deshalb kann er kraft seiner Definitionsfreiheit das zu einem Erwerb von Todes wegen erklären, was er für Zwecke der Erbschaftsteuer darunter verstanden wissen will. Er ist darin weder durch den allgemeinen Sprachgebrauch noch durch den Sprachgebrauch des BGB begrenzt. Das spricht dafür, dass in § 3 ErbStG die Erwerbstatbestände definiert und nicht fingiert werden und nur dann eine Fiktion vorliegt, wenn in der Bestimmung auf einen bereits definierten Erwerbstatbestand Bezug genommen wird, wie z.B. in § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG.
Rz. 4
Störend an § 3 ErbStG ist auch ein uneinheitlicher Sprachgebrauch, der von der Sache nicht gefordert ist. Steuerbar sind der Erwerb durch Erbanfall, durch Vermächtnis, durch Schenkung auf den Todesfall und durch Anordnung oder freiwillige Übernahme einer Leistung bei der Genehmigung einer Zuwendung. Steuerbar ist auch der Erwerb auf Grund eines Vertrags zugunsten Dritter. Und zu guter Letzt ist auch der Erwerb infolge Vollziehung einer Auflage oder Erfüllung einer Bedingung steuerbar. Warum der Gesetzgeber zwischen den Durch-Erwerben, den Auf-Grund-Erwerben und den Infolge-Erwerben unterscheidet und auf diese Weise Auslegungsfragen provoziert, die überflüssig sind, ist unerfindlich. An den Unzulänglichkeiten der deutschen Sprache liegt es jedenfalls nicht.
Rz. 5
Die wichtigsten Steuertatbestände folgen dem Erbrecht des BGB. Der enge Zusammenhang findet darin seinen Ausdruck, dass der Gesetzgeber bei diesen Tatbeständen die Bestimmungen des BGB zitiert, auf denen der Erwerb beruht. Dieser Zusammenhang wird im Allgemeinen auf die Formel von der Maßgeblichkeit des Zivilrechts für das Erbschaftsteuerrecht gebracht. Daran ist richtig, dass sich ein steuerrelevanter Erwerb zwischen Privaten nur in den Rechtsformen des Zivilrechts, in Sonderheit des Erbrechts, ereignen kann. Mehr ist dem jedoch nicht zu entnehmen. Da das ErbStG den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit besteuern will, ist es nicht nur möglich, sondern nachgerade geboten, auf den wirtschaftlichen Gehalt eines Geschehens abzustellen. Er bildet sich in den zivilrechtlichen Rechtsfiguren und Rechtsformen ab, ist aber nicht mit ihnen gleichzusetzen. Deshalb muss der Besteuerung das wirtschaftliche Ergebnis zugrunde gelegt werden, das durch die zivilrechtlichen Normen vermittelt wird. In diesem Sinne verlangt auch die Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Deshalb ist eine rechtliche Gestaltung nicht erst dann auf ihren wirtschaftlichen Gehalt zu befragen, wenn sie sich als rechtsmissbräuchlich darstellt (§ 42 AO), sondern bereits vorher, bei der Auslegung des Steuertatbestandes selbst.