Kommentar
Nach einer Außenprüfung im Jahre 1993 wollte das Finanzamt Steuerbescheide ändern, die Schuldzinsen des Jahres 1987 betrafen. Der Sachbearbeiter gab die geänderten Daten am 15. 12. 1993 zur Rechenanlage. Am 22. 12. 1993 lag ihm der Änderungsbescheid mit dem maschinell aufgedruckten Absendedatum 30. 12. 1993 vor. Einem Vermerk des Sachbearbeiters zufolge wurde dieser Bescheid von ihm am 27. 12. 1993 vordatiert, an diesem Tag zur Poststelle gebracht. Eine Mahnung der Finanzkasse vom 1. 3. 1994 reichte der Steuerzahler mit der Bemerkung zurück, es müsse sich um einen Irrtum handeln, ihm liege ein geänderter Einkommensteuerbescheid 1987 nicht vor. Nachdem das Finanzamt dem Steuerzahler Fotokopien des geänderten Bescheids nebst Anlage übersandt hatte, berief sich der Steuerzahler auf Verjährung .
Nach Auffassung des BFH wahrte der am 27. 12. 1993 zur Post gegebene Einkommensteuerbescheid die vierjährige Festsetzungsfrist : Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres 1989, in dem die Steuererklärung für 1987 eingereicht wurde, und endete mit dem 31. 12. 1993. Die Festsetzungsfrist ist gewahrt, wenn vor Ablauf dieser Frist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat ( § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ). Dies ist nach dem Vermerk auf der Rückseite des Bescheids vor Ablauf der Festsetzungsfrist geschehen. Es ist nicht erforderlich, daß der Steuerbescheid, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich des Finanzamts verlassen hat, auf dem eingeschlagenen Weg auch wirksam wird. Es genügt, wenn er nach dem Inhalt der Steuerakten hätte wirksam werden können und später dem Steuerzahler tatsächlich zugeht. Dies hatte der BFH schon früher entschieden (BFH, Urteil v. 31. 10. 1989, BStBl 1990 II S. 518).
In diesem Fall ist die Festsetzungsfrist auch gewahrt, wenn die fehlgeschlagene Bekanntgabe des Steuerbescheids nach Fristablauf wiederholt wird. Insoweit vertritt der BFH eine gegenüber der Vorschrift des § 155 Abs. 1 AO eingeschränkte Auslegung des Begriffs „Steuerbescheid”. Es liegt durchaus in der dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsfreiheit, den Grundsätzen der vereinfachten Zustellung von Steuerbescheiden auch für den Fall der Bekanntgabe kurz vor Ablauf der Festsetzungsverjährung Geltung zu verschaffen. Der Steueranspruch besteht, gleichgültig ob die Bekanntgabe fehlgeschlagen ist oder ob dies vom Steuerzahler nur behauptet wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte damit die Einhaltung der Festsetzungsfrist von den Zufälligkeiten des Bekanntgabevorgangs unabhängig gemacht werden. In beiden Fällen wird die Bekanntgabe nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist wiederholt und dem Steuerzahler damit die Möglichkeit gegeben, Rechtsbehelfe einzulegen.
Der BFH weist zur Begründung seiner Wertung auf die öffentliche Bekanntgabe von Verwaltungsakten hin. Die Festsetzungsfrist ist gewahrt, wenn vor ihrem Ablauf bei öffentlicher Zustellung der Steuerbescheid oder eine Benachrichtigung nach § 15 Abs. 2 VwZG ausgehängt wird ( § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AO ). In diesem Fall ist der Zugang des Bescheids auch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Wahrung der Festsetzungsfrist. Danach wird die Festsetzungsfrist nicht durch den Eintritt der Zustellungsfiktion des § 15 Abs. 3 VwZG gewahrt, sondern unabhängig davon, bereits durch das Aushängen des Bescheids oder der Benachrichtigung. Nach dem einheitlichen Gesetzesplan muß die Finanzbehörde lediglich die Zustellung veranlaßt haben. Schlägt diese fehl, ist sie ggf. zu wiederholen. Auf die Einhaltung der Festsetzungsfrist kann dies aber nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Einfluß haben ( Verwaltungsakt ; Änderungsvorschriften ).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.03.1998, IV R 64/96