Leitsatz
1. Eine auf einer ausreichenden Futtergrundlage betriebene landwirtschaftliche Tierzucht und Tierhaltung kann infolge einer nachhaltigen Änderung im Tier- oder Flächenbestand in die Gewerblichkeit hineinwachsen (Strukturwandel).
2. Strukturiert der Landwirt durch auf Dauer angelegte planmäßige Maßnahmen seinen Betrieb so um, dass die Vieheinheitengrenze nachhaltig überschritten wird, führt dies zur sofortigen Entstehung eines Gewerbebetriebs. Dieser tritt neben den weiter bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb und beginnt grundsätzlich mit der ersten Vorbereitungshandlung, die auf die nachhaltige Kapazitätserweiterung gerichtet ist (Fall des sofortigen Strukturwandels).
3. Lässt sich eine auf Dauer angelegte Maßnahme zur nachhaltigen Kapazitätserweiterung nicht feststellen, ist nach einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren, in dem die Vieheinheitengrenze jeweils auch nur geringfügig überschritten wird, ein Gewerbebetrieb anzunehmen (Fall des allmählichen oder schleichenden Strukturwandels).
4. Wird die Vieheinheitengrenze um mehr als 10 % überschritten und wird dadurch zugleich ein zusätzlicher Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen von mehr als 10 % erforderlich, lässt dies den Schluss auf das Vorliegen eines sofortigen Strukturwandels zu.
5. Wirtschaftsgüter des landwirtschaftlichen Betriebs, die nach dem Strukturwandel ausschließlich dem infolge einer Überschreitung der Vieheinheitengrenze gewerblichen Betrieb dienen, sind erst mit der Aufstallung der zusätzlichen Tierbestände in den Gewerbebetrieb zu überführen.
6. Eine Rücklage gem. § 3 Abs. 2a ZRFG, die für eine Investition gebildet werden darf, die zu einem sofortigen Strukturwandel führt, ist ausschließlich durch den entstehenden Gewerbebetrieb veranlasst.
Normenkette
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 und 4 EStG, § 51 Abs. 2 BewG
Sachverhalt
Ein Landwirt plante im Jahr 1993 die erhebliche Ausweitung seiner Schweinemast. Er errichtete einen neuen Schweinestall für 2060 Schweine, der im Jahr 1996 fertiggestellt wurde. Die Vieheinheitengrenze für landwirtschaftliche Tierhaltung wurde durch die Zahl der künftig aufzustallenden Schweine erheblich überschritten. Der Landwirt übertrug deshalb vor der Aufstallung seinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Ausnahme des der Schweinemast dienenden Grundstücks auf eine Landwirtschafts-GbR.
Im Wirtschaftsjahr 1993/94 beantragte der Landwirt die Bildung einer Gewinnrücklage von 1 Mio. DM nach § 3 ZRFG für die Errichtung des Schweinestalls und bilanzierte die Rücklage in der Bilanz des landwirtschaftlichen Betriebs auf den 30.06.1994.
Das FA akzeptierte die Rücklage nicht. Sie gehöre bereits in den Gewerbebetrieb. Dort führe sie aber wegen des Verlustausgleichsverbots nach § 15 Abs. 4 EStG nicht zu in den Streitjahren ausgleichsfähigen oder abziehbaren Verlusten.
Im Klageverfahren teilte das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 10.11.2004, 1 K 287/01, Haufe-Index 1512096) die Einschätzung des FA, die Rücklage sei im Gewerbebetrieb zu bilden. Diesen sah es aber bereits in dem bisherigen Schweinemastbetrieb, sodass die Verluste aus der Rücklagenbildung mit diesen Einnahmen verrechnet wurden.
Entscheidung
Die Revision des Landwirts hatte keinen Erfolg. Die Rücklage sei im Gewerbebetrieb zu bilden, der mit den Vorbereitungshandlungen entstanden sei. Die bisherige Schweinemast bleibe allerdings noch in der Landwirtschaft. Wegen des Verböserungsverbots bleibe es aber bei dem Verlustausgleich im Gewerbebetrieb.
Hinweis
1. Wird durch einen überhöhten Viehbestand die Vieheinheitengrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG überschritten, wird die Tierhaltung bzw. der am wenigsten flächenabhängige Teil der Tierhaltung zum Gewerbebetrieb. Die dann erzielten gewerblichen Einkünfte unterliegen den Verlustverrechnungsrestriktionen des § 15 Abs. 4 S. 1 und 2 EStG.
2. Der Strukturwandel von der Landwirtschaft zum Gewerbebetrieb kann schleichend oder sofort infolge einer bewussten Umstrukturierungsmaßnahme eintreten.
- Im Fall der überhöhten Viehhaltung kommt es bei Fehlen einer bewussten Kapazitätserweiterung nach dem Besprechungsurteil dann zu einem Wandel zur gewerblichen Tierhaltung, wenn die Vieheinheitengrenze um mehr als 10 % überschritten wird und dadurch zugleich ein zusätzlicher Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen von mehr als 10 % entsteht.
- Im Fall einer bewussten Kapazitätserweiterung führen bereits diesbezügliche Vorbereitungsmaßnahmen zur Entstehung des Gewerbebetriebs. Die betreffende Tierhaltung wird aber erst dann Bestandteil des neuen Gewerbebetriebs, wenn der Tierbestand tatsächlich die Vieheinheitengrenze übersteigt. In der Vorbereitungsphase gibt es deshalb neben dem unveränderten landwirtschaftlichen Betrieb einen gewerblichen Betrieb, der regelmäßig Verluste erwirtschaftet, die solche aus gewerblicher Tierhaltung sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.02.2009 – IV R 18/06