Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeldbezug. Antrag auf medizinische Rehabilitation. Fiktion des § 116 Abs 2 SGB 6. Rücknahme des fiktiven Rentenantrags durch den Versicherten. erforderliche Zustimmung der Krankenkasse. Einschränkung der Dispositionsbefugnis des Versicherten. gerichtliche Überprüfung
Orientierungssatz
1. Zur Frage, ob die Krankenkasse einem Antrag des Versicherten auf Zurücknahme eines Rentenantrags iSd § 116 Abs 2 SGB 6 zustimmen muss.
2. Zur Einschränkung des Dispositionsrechts des Versicherten und der Überprüfung durch das Gericht (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 1 KR 6/03 R = BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 12. März 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Rücknahme eines fiktiven Rentenantrages des Klägers zuzustimmen.
Der am … geborene Kläger war seit dem 4. Dezember 2008 arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 15. Januar 2009 (bis 3. Juni 2010) Krankengeld von der …, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte). Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der ... (MDK) vom 8. April 2009 zur Frage der medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung des § 51 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ein. Danach ist der Kläger u.a. an einem primären Parkinson-Syndrom erkrankt und seine Arbeitsfähigkeit als Bandarbeiter auf Dauer aufgehoben. Mit Bescheid 22. April 2009 forderte die Beklagte ihn auf, innerhalb von zehn Wochen nach Erhalt des Bescheides spätestens bis zum 3. Juli 2009, einen Antrag auf Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) zu stellen. Ein solcher Antrag gelte nach § 116 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) bei Vorliegen der Voraussetzungen als Rentenantrag wenn der Versicherte vermindert erwerbsfähig sei. Nach dem Gutachten des MDK erlaube sein Gesundheitszustand bis auf weiteres keine Wiederaufnahme der Arbeit. Sofern ihm für Zeiträume, für die er bereits Krankengeld bezogen habe, rückwirkend Rente zuerkannt werde, habe nicht nur er, sondern auch die Beklagte einen Anspruch auf Rentennachzahlung. Dies habe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Folge, dass er für die künftige Abgabe bestimmter Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger die Zustimmung benötige. Dazu gehörten insbesondere Erklärungen bezüglich der Rücknahme von Anträgen auf Leistungen zur Teilhabe oder Renten. Sein Krankengeldanspruch könne ab 4. Juli 2009 auch rückwirkend entfallen, sofern er eine Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger ohne ihre Zustimmung abgebe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger keinen Widerspruch.
Am 27. Mai 2009 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Sie leitete den Antrag an die Beigeladene (Eingang dort am 9. Juni 2009) weiter, die ein nervenärztliches Gutachten der Dr. P. vom 6. August 2009 (Diagnosen: primäres, rechtsseitig betontes Parkinsonsyndrom vom Äquivalenztyp; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktions- bzw. Lagerarbeiter oder Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich) einholte. Mit Bescheid vom 18. August 2009 lehnte sie die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme wegen Fehlens der medizinischen Voraussetzungen ab. Es werde geprüft, ob der Antrag als Rentenantrag gelte. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Am 26. August 2009 beantragte er nach Aufforderung durch Beklagte und Beigeladene die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Schriftsatz vom 14. September 2009 erklärte er gegenüber der Beigeladenen, der Antrag vom 27. Mai 2009 solle nicht als Rentenantrag gelten und der am 26. August 2009 gestellte Rentenantrag werde zurückgenommen, es sei denn die Zustimmung der Krankenkasse wäre erforderlich. Am 14. September 2009 begehrte er von der Beklagten die Zustimmung zur Rücknahme des Rentenantrages und eine Weiterzahlung des Krankengeldes. Die wesentliche Erhöhung des Rentenanspruchs aus anderen Gründen begründe ein berechtigtes Interesse. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI steige unabhängig von der Rentenversicherungsbeitragszahlung der Krankenkasse der Zugangsfaktor bei späterem Rentenbeginn an. Mit Schreiben vom 3. November 2009 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass ihm mit Schreiben vom 24. August 2009 mitgeteilt worden sei, dass das Dispositionsrecht im Sinne des § 51 SGB V eingeschränkt sei. Mit Schriftsatz vom 7. November 2009 erinnerte der Kläger an seine Anträge vom 14. September 2009. Er legte der Beklagten eine Rentenauskunft vor, wonach der Zahlbetrag bei Gewährung einer Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 des Neunten Buches ...