Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO, der den Notar zur Verweigerung der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses gem. § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB und damit seiner Urkundstätigkeit berechtigt, hohe Anforderungen zu stellen.
Stellt der Notar i.R. seiner Ermittlungspflicht die gebotenen Nachforschungen an und wirkt der Erbe bei der Sachaufklärung im erforderlichen und zumutbaren Umfang mit, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit.
BGH v. 19.6.2024 – IV ZB 13/23
BGB § 2314; BNotO § 15
Beraterhinweis Welche Anforderungen an die notarielle Ermittlungstätigkeit bei der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses nach § 2314 BGB zu stellen sind, ist nach wie vor erheblich umstritten. Mit dem vorliegenden Beschluss schafft der BGH weitere Klarheit, was für die Praxis äußerst bedeutsam ist.
Auch er folgt nun der Auffassung, dass der Notar nach den Umständen des Einzelfalles zur Einsichtnahme in die Kontoauszüge der vergangenen zehn Jahre verpflichtet ist, um ergänzungspflichtige Schenkungen des Erblassers zu ermitteln (BVerfG v. 25.4.2016 – 1 BvR 2423/14, NJW 2016, 2943; OLG Koblenz v. 18.3.2014 – 2 W 495/13, NJW 2014, 1972 = ErbStB 2014, 250 [Esskandari/Bick]; OLG Bamberg v. 16.6.2016 – 4 W 42/16, ZEV 2018, 580; OLG Hamm v. 9.3.2021 – 10 U 90/20, ZEV 2021, 576; Herzog in Staudinger, BGB, § 2314 Rz. 73). Übermittelt ihm der Erbe auf Anforderung hin die fehlenden Kontoauszüge nicht, so muss er den Erben auffordern, seine Auskunftsansprüche gegenüber den Banken durchzusetzen (BGH v. 7.3.2024 – I ZB 40/23, ZEV 2024, 378). Alternativ kann sich der Notar zur Durchführung einer eigenen Anfrage vom Erben eine Vollmacht erteilen lassen (BVerfG v. 25.4.2016 – 1 BvR 2423/14, NJW 2016, 2943). Zur Ermittlung ergänzungspflichtiger Schenkungen kann für den Notar ferner Anlass zur Befragung der Pflichtteilsberechtigten und ihrer Abkömmlinge bestehen, weil sie aufgrund ihrer familiären Verbindung zum Erblasser als mögliche Zuwendungsempfänger besonders in Betracht kommen (Koroch, RNotZ 2020, 545).
Verbleibende Unklarheiten nach Abschluss der Ermittlungen berechtigen den Notar nicht zur Verweigerung der Verzeichnisaufnahme, sondern er hat den jeweiligen Sachverhalt in das Verzeichnis aufzunehmen und seine Zweifel zum Ausdruck zu bringen (LG Trier v. 22.1.2020 – 11 T 1/19, ErbR 2020, 878). Ohne Verzeichnisaufnahme bestünde für den Pflichtteilsberechtigten ansonsten die Gefahr, dass er seinen bestehenden Anspruch nicht beziffern und damit faktisch nicht durchsetzen kann.