Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar ist, als danach auch private Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998, bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist von zwei Jahren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F.) bereits abgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung unterworfen werden.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG , Art. 2 Abs. 1 GG , Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Kläger hatte im Jahr 1990 ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück erworben. Am 22.4.1999 veräußerte er das Grundstück, nachdem er bereits im Oktober 1997 einen Makler mit dem Verkauf beauftragt hatte.
Das FA sah in dem Vorgang ein privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG und unterwarf den Veräußerungsgewinn im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 der ESt.
Entscheidung
Nach Auffassung des BFH ist die Erstreckung der Neuregelung auf nach dem 31.12.1998 vorgenommene Grundstückveräußerungen ohne angemessene Übergangsregelung verfassungswidrig. Bei der Ausgestaltung der Übergangsregelung stehe dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.
Hinweis
1.§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG n.F. erfasst (u.a.) Einkünfte aus (Grundstücks-)Veräußerungsgeschäften, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. In seiner neueren Rechtsprechung betont das BVerfG im Bereich von Lenkungsnormen die Bedeutung des Dispositionsschutzes: Bietet ein Steuergesetz dem Steuerpflichtigen eine Verschonungssubvention oder Steuervergünstigung an, die dieser nur während des Veranlagungszeitraums annehmen kann, so schafft dieses Angebot für diese Disposition in ihrer zeitlichen Bindung eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage (BVerfG, Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 80; in BVerfGE 105, 17, 40; vom 3.7.2001 1 BvR 382/01, DB 2001, 1650).
Dieser – vom BVerfG bisher nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährte – verstärkte Schutz von Dispositionen ist nach Auffassung des vorlegenden Senats auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken. Entscheidend ist danach, ob die durch eine Steuerrechtsnorm hervorgerufene steuerliche Wirkung geeignet ist, eine wirtschaftliche Disposition zu veranlassen, die ohne diesen Vorteil so nicht vorgenommen würde (Mellinghoff, FR 2000, 627, 628).
2. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG 1990 war als im Zeitpunkt dieser Anlagedisposition geltendes Gesetz Grundlage des vom Erwerber durch die Anschaffung betätigten Vertrauens. Dieses Vertrauen ist nach Auffassung des BFH schon wegen der bei Erwerb jahrzehntelang geltenden Rechtslage schutzwürdig. Das Unterlassen der Veräußerung nach Ablauf der Spekulationsfrist wird hierbei gegenüber der Veräußerung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten als gleichwertig angesehen werden zumal der Gesetzgeber die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG getroffene (Nicht-) Belastungsgrundentscheidung, Wertzuwächse im Privatvermögen nicht zu besteuern, nach Fristablauf wieder folgerichtig umgesetzt hat und auch deshalb darauf vertraut werden konnte, die Regelung werde auf Dauer Bestand haben.
3. Öffentliche Interessen überwiegen dieses schutzwürdige Vertrauen – so der BFH – weder unter dem Gesichtspunkt der Gegenfinanzierung des StEntlG 1999/2000/2002 noch der Steuergerechtigkeit, zumal eine Begründung für die rückwirkende Verschärfung des § 23 EStG den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich ist.
Die mit dem StEntlG 1999/2000/2002 zudem beabsichtigte Vereinfachung des Steuerrechts rechtfertigt für sich allein ebenfalls nicht, schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen zurücktreten zu lassen, zumal die Regelung zu einer Komplizierung führt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 16.12.2003, IX R 46/02