Leitsatz
Die Erkenntnis über die Unrichtigkeit einer elektronischen Lohnsteuerbescheinigung ist keine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO.
Sachverhalt
Strittig war die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides. Die Kläger waren Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer 2007 veranlagt wurden. Beiden hatten im Jahr Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit bezogen. Hierbei erklärten sie einen negativen Bruttoarbeitslohn von EUR 20.000,00 sowie eine Entschädigung von EUR 174.000,00. In der elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigung wurde ein negativer Arbeitslohn von EUR 27.000,00, ein positiver von EUR 7.000,00 sowie eine Entschädigung von EUR 174.000,00 ausgewiesen. Nach einer Nachfrage des Finanzamts erklärten die Kläger, dass von der Abfindung ein Teilbetrag von EUR 50.000,00 in eine Direktversicherung eingezahlt worden seien. Das Finanzamt veranlagt daraufhin einen Bruttoarbeitslohn von EUR 30.000,00 sowie eine Abfindung als außerordentliche Einkünfte von EUR 124.000,00. Die festgesetzte Steuer betrug EUR 37.000,00. Die Kläger legten gegen die Festsetzung Einspruch ein, da sie der Absicht waren, die gesamte Abfindung von EUR 174.000,00 seien als außerordentliche Einkünfte zu berücksichtigen. Das Finanzamt folgte dem, die geänderte Einkommensteuer betrug EUR 17.000,00. Der geänderte Bescheid wurde bestandskräftig. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei dem ehemaligen Arbeitgeber wurde festgestellt, dass dieser die Abfindung falsch berücksichtigt hatte. Tatsächlich hätte ein Arbeitslohn von EUR 23.000,00 und eine Abfindung von EUR 124.000,00 berücksichtigt werden müssen. Das Finanzamt änderte nunmehr die Einkommensteuer 2007 erneut. Die Kläger legten Einspruch und anschließend Klage ein. Sie führten aus, eine Änderungsnorm sei nicht erfüllt. Das Finanzamt berief sich darauf, dass die Erkenntnis, dass die elektronisch übermittelte Lohnsteuerbescheinigung falsch gewesen sei, eine neue Tatsache gewesen sei.
Entscheidung
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung sah das Finanzgericht keine rechtliche Möglichkeit, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 2007 zu ändern. Der Umstand, dass die Einzahlung in die Direktversicherung in Höhe von EUR 50.000,00 nicht bei der Höhe der außerordentlichen Einkünfte berücksichtigt habe, sondern bei der Berechnung des Bruttoarbeitslohnes, und demnach auch die elektronisch übermittelte Lohnsteuerbescheinigung unrichtig gewesen sei, sei keine Tatsache im Sinne des § 173 AO. Vielmehr liege in der steuerlichen Behandlung der Direktversicherung eine rechtliche Schlussfolgerung, die keine Änderung ermögliche. Alle Tatsachen seien der Finanzverwaltung rechtzeitig bekannt gewesen. Auch eine Änderung nach § 172 AO komme nicht in Betracht, da von einem arglistigen Verhalten der Kläger nicht ausgegangen werden könne.
Hinweis
Die Entscheidung ist sicherlich als zutreffend anzusehen. Letztlich stand hier die Frage im Mittelpunkt, wie die Abfindung in lohnsteuerlicher Hinsicht zu erfassen war. Zwar war die Behandlung durch den ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin falsch, doch stellt die Einschätzung eine rechtliche Schlussfolgerung dar. Eine Tatsache war hierin nicht zu sehen (vgl. Frotscher, in Schwarz, AO, § 173 AO Rz. 20ff. m.w.N.). Hier konnte das Finanzamt sich auch nicht darauf berufen, dass die Kläger ihren Pflichten nicht hinreichend nachgekommen seien, da die Rechtsauffassung der Kläger, auch wenn diese falsch war, dem Finanzamt bekannt war. Letztlich verdeutlicht die Entscheidung aber auch ein gewisses Dilemma der Finanzverwaltung. In Zeiten der ständig zunehmenden Elektronisierung des steuerlichen Verwaltungsverfahrens besteht immer mehr die Tendenz, sich auf die elektronisch übermittelnden Daten zu verlassen. Eine Überprüfung findet nicht mehr flächendeckend statt. Wenn dann später erkannt wird, dass die übermittelten Daten falsch waren, ist eine Änderung der falschen Veranlagung nur noch eingeschränkt möglich. Es steht zu vermuten, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle das steuerlichen Verwaltungsverfahrens noch "nachbessern" wird.
Gegen die Entscheidung wurde die Revision zum BFH zugelassen.
Link zur Entscheidung
FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.07.2014, 2 K 716/11