Leitsatz
Die Tatsache, dass bestimmte Gegenstände eine einheitliche Lieferung bilden, die zum einen eine Hauptleistung, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats unter eine die Rückerstattung der gezahlten Steuer vorsehende Ausnahmeregelung i.S.v. Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL fällt, und zum anderen Gegenstände umfasst, die nach dem genannten Recht von dieser Ausnahmeregelung ausgeschlossen sind, hindert den betreffenden Mitgliedstaat nicht daran, auf die Lieferung dieser ausgeschlossenen Gegenstände MwSt. zum Normalsatz zu erheben.
Normenkette
Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL
Sachverhalt
Talacre (T) erzielte Umsätze u.a. aus dem Verkauf von ausgebauten Wohnwagen, der Vermietung von Stellplätzen und der Bereitstellung von dazugehörigen Anlagen für die Eigentümer stationärer Wohnwagen. Der Hersteller, von dem T die ausgebauten Wohnwagen erwirbt, weist in der Rechnung den Preis der Wohnwagen ohne MwSt. sowie den Preis für die Inneneinrichtung zzgl. MwSt. i.H.d. Normalsatzes gesondert aus. T meinte, dass sie eine einheitliche Leistung (Wohnwagen) bezogen habe, für die in England der Nullsteuersatz galt.
Entscheidung
Im vorliegenden Fall hatte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ausgeführt, dass nur für die Lieferung der Wohnwagen selbst der Nullsteuersatz zu erheben sei. Diesen Steuersatz auch auf die Lieferung der Inneneinrichtung der Wohnwagen anzuwenden, hielt es nicht für gerechtfertigt. Das war entscheidend.
Hinweis
Die Entscheidung betrifft nur Ausnahmeregelungen nach Art. 28 der 6. EG-RL.
1. Art. 28 der 6. EG-RL ermöglichte den Mitgliedstaaten bestimmte Abweichungen von den allgemeinen Regelungen (z.B. wie in Abs. 2 Buchst. a Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug, sog. Nullsätze) beizubehalten oder (z.B. nach Abs. 6) bei entsprechender Ermächtigung einzuführen. Die Besprechungsentscheidung betraf die Frage, ob auf eine einheitliche Lieferung unterschiedliche Steuersätze angewendet werden dürfen, wenn für einen Teil der einheitlichen Leistung aufgrund einer Ausnahme nach Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der betreffende Mitgliedstaat einen anderen Steuersatz anwenden darf. Die Finanzverwaltung meinte, die Ausnahmeregelung sei eng auszulegen und betreffe gegebenenfalls nur den in der Ausnahme genau bezeichneten Teil einer einheitlichen Leistung; für den Rest gelte der normale Steuersatz.
2. Der EuGH betont, dass Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL die darauf abzielt, schwierige soziale Situationen zu vermeiden, die sich daraus ergeben könnten, dass vom nationalen Gesetzgeber vorgesehene, aber von der 6. EG-RL nicht übernommene Vorteile abgeschafft werden. Im Licht dieser Zielsetzung ist für die Bestimmung der Reichweite der Leistungen, für die die 6. EG-RL die Beibehaltung einer Ausnahmeregelung während einer Übergangszeit zulässt, der Inhalt der nationalen Regelungen entscheidend, die am 1.1.1991 in Kraft waren.
3. Außerdem sind die Bestimmungen der 6. EG-RL eng auszulegen, soweit sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz vorsehen, dass jede Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt erbringt, der MwSt. unterliegt. Ausnahmeregelungen können sich deshalb nicht auf Gegenstände erstrecken, die am 1.1.1991 durch den nationalen Gesetzgeber von einer solchen Ausnahmeregelung ausgeschlossen waren.
4. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass bei einer einheitlichen Lieferung nur der die Leistung charakterisierende Teil unter die Ausnahmeregelung fällt.
Zwar ist auf eine einheitliche Lieferung grundsätzlich ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden; aber dieser Grundsatz steht einer gesonderten Besteuerung bestimmter Bestandteile dieser Lieferung entgegen, wenn nur durch eine solche Besteuerung die Voraussetzungen erfüllt werden können, die Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL für die Rückerstattung der gezahlten Steuer vorsehende Ausnahmeregelungen aufstellt.
Denn für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung gibt es aus mehrwertsteuerlicher Sicht keine Regel mit absoluter Geltung; daher sind für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung die Gesamtumstände einschließlich der besonderen juristischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck von Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL ist eine nach dieser Vorschrift zulässige nationale Ausnahmeregelung nur unter der Voraussetzung anwendbar, dass sie am 1.1.1991 in Kraft und nach Ansicht des betreffenden Mitgliedstaats aus sozialen Gründen zugunsten der Endverbraucher erforderlich war.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 6.7.2006, Rs. C-251/05 – Talacre Beach Caravan Sales Ltd. –