Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Wird ein Einkommensteuerbescheid unter Missachtung einer vorliegenden Bekanntgabevollmacht nicht wirksam bekannt gegeben, führt die nachfolgende Weitergabe des Bescheides an den Bevollmächtigten dennoch nicht zur Heilung des Bekanntgabemangels, wenn das Finanzamt zuvor ausdrücklich seinen Bekanntgabewillen aufgegeben hat.
Sachverhalt
Im Streitfall ging es (vereinfacht wiedergegeben) um einen am 29.12.2009 an den Steuerpflichtigen bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheid 2003, der aufgrund einer Bekanntgabevollmacht an den Bevollmächtigten hätte bekannt gegeben werden müssen. Bei dem Einkommensteuerbescheid handelte es sich um einen Schätzungsbescheid, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungsabgabeverpflichtung nicht nachgekommen war. Erst am 13.8.2012 leitete der Steuerpflichtige den Steuerbescheid an seinen Bevollmächtigten weiter, der sodann noch am gleichen Tag gegen den Bescheid Einspruch einlegte. Zuvor hatte das Finanzamt in einem Schreiben vom 3.8.2012 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Ausgangsbescheid vom 29.12.2009 nie existiert habe. Der Erlass eines erneuten Steuerbescheides sei nun jedoch nicht mehr möglich, da die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 bereits am 31.12.2010 abgelaufen sei. Hiergegen richtete sich der eingelegte Einspruch sowie die nachfolgend eingelegte Klage, mit der für 2003 Verluste aus der Veräußerung von Beteiligungen (§ 17 EStG) geltend gemacht wurden.
Entscheidung
Das Finanzgericht wies die Klage ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der bereits am 31.12.2010 abgelaufenen Festsetzungsfrist. Die Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides 2003 am 29.12.2009 war unwirksam, da das Finanzamt die vorliegende Bekanntgabevollmacht zugunsten des Bevollmächtigten nicht beachtet hatte. Ein derartiger Bekanntgabemangel kann zwar durch die Weitergabe des Steuerbescheides an den Bekanntgabeempfänger geheilt werden. In diesem Fall liegt jedoch erst zum Zeitpunkt der Weitergabe des Bescheides eine wirksame Bekanntgabe vor. Im Streitfall konnte es hierzu jedoch nicht mehr kommen, da das Finanzamt bereits zuvor gegenüber dem Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen seinen Bekanntgabewillen für den am 29.12.2009 erlassenen Einkommensteuerbescheid ausdrücklich aufgehoben hatte. Mit dem eingelegten Einspruch konnte daher weder eine Bescheidänderung noch der Erlass eines erstmaligen Bescheides bewirkt werden.
Hinweis
In dem vom Sachverhaltsablauf her ungewöhnlichen Fall war der Ablauf der Festsetzungsfrist zwar zunächst gehemmt, da dem am 29.12.2009 erlassenen Bescheid zwar ein Bekanntgabemangel anhaftete, dieser aber gleichwohl - zunächst - die Festsetzungsfrist wahrte, indem er vor Ablauf der Frist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hatte (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO). Diese Fristwahrung wird jedoch nur dann wirksam, wenn der Bescheid dem Adressaten nach Ablauf der Festsetzungsfrist auch tatsächlich zugeht. Dies wäre im Streitfall am 13.8.2012 durch Weiterleitung an den Bevollmächtigten auch eingetreten, wenn das Finanzamt nicht zuvor seinen Bekanntgabewillen ausdrücklich aufgegeben hätte.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2015, 12 K 3631/12