Unmittelbare Berufung auf die "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH: Neben den in § 25f Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 UStG aufgezählten Rechten versagt der EuGH im Falle von Missbrauch u.a. auch die Erstattung der Mehrwertsteuer und die Anwendung der Differenzbesteuerung. Dies wird – trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung in § 25f UStG – auch für die nationale Rechtsanwendung für maßgeblich gehalten, weil die "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH keiner Umsetzung in nationales Recht bedarf, sondern unmittelbar in den Mitgliedstaaten anzuwenden ist.
Steuerlich kann damit ein Recht, eine Steuerbefreiung oder ein sonstiger steuerlicher Vorteil auch unmittelbar unter Berufung auf die "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH versagt werden.
Anders im Steuerstrafrecht: Anders zu beurteilen ist dies allerdings für steuerstrafrechtliche Zwecke. Hier steht der Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG (auch Art. 49 Abs. 1 GrCh) einem Rückgriff auf die "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH – über den Wortlaut des § 25f UStG hinausgehend – entgegen.
1. Missbrauch bei Verschweigen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze?
Ungeklärt ist bislang, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs – als Sanktionsmittel der Finanzverwaltung – in Betracht kommt, wenn es zu Unregelmäßigkeiten bei den Ausgangsumsätzen gekommen ist, d.h. diese nicht (fristgemäß) angemeldet wurden und dies später entdeckt wurde.
Weite Auslegung des § 25f UStG? Die Versagung des Vorsteuerabzugs kann sich in diesem Fall nicht unmittelbar aus § 25f UStG ergeben, da diese Regelung nur den Fall betrifft, in dem der Unternehmer in eine Hinterziehung auf der vorangehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe einbezogen ist. Nicht geregelt ist hingegen der Fall der eigenen Steuerhinterziehung des Unternehmers selbst. Teilweise wird die Versagung des Vorsteuerabzugs im Wege einer weiten Auslegung des § 25f UStG bejaht; so auch die Linie einzelner Finanzbehörden. Dies ist jedoch mit dem Wortlaut und Wortsinn des § 25f UStG nicht vereinbar und daher eine unzulässige Auslegung.
"Missbrauch" i.S.d. EuGH-Rechtsprechung gegeben? Da § 25f UStG nach überwiegender Ansicht nicht abschließend ist, ist weiter zu prüfen, ob bei Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Ausgangsumsätzen ein "Missbrauch" i.S.d. EuGH-Rechtsprechung anzunehmen ist und darauf gestützt der Vorsteuerabzug versagt werden kann.
Nach dem EuGH liegt ein "Missbrauch" vor, wenn die Tathandlung, aus der sich die Steuerhinterziehung ergibt, die Geltendmachung eines unberechtigten Vorsteuerabzugs ist. In diesem Fall ist der Vorsteuerabzug zu versagen.
Anders ist dies jedoch, wenn die Tathandlung, aus der sich die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung ergibt, das Verschweigen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze ist. Hier liegt kein "Missbrauch" i.S.d. EuGH vor. Damit kann in dieser Konstellation aus der "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH kein Recht zur Versagung des Vorsteuerabzugs hergeleitet werden.
Damit gilt zusammenfassend: Eine Steuerhinterziehung im Hinblick auf Ausgangsumsätze rechtfertigt auch nach dem EuGH nicht die Versagung des Vorsteuerabzugs. In diesem Fall liegt keine betrügerische oder missbräuchliche Geltendmachung des Vorsteuerabzugs im Sinne der "Missbrauchsrechtsprechung" des EuGH vor. Der BGHhat dies steuerstrafrechtlich auch bereits klargestellt. Nichts anderes gilt steuerlich.
2. Missbrauch bei Einfuhrumsatzsteuer?
Ein ähnliches Problem stellt sich auch bei der Einfuhrumsatzsteuer. In Fachkreisen wird derzeit darüber diskutiert, ob Unregelmäßigkeiten bei der Einfuhr ein "Missbrauch" i.S.d. EuGH-Rechtsprechung und damit Grund für die Versagung des Vorsteuerabzugs sind.
a) Allgemein zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer
Grundsätzlich kann ein Unternehmer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG "die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 eingeführt worden sind" zum Abzug bringen. Das Gesetz stellt als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug auf die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer ab.
Gemäß Abschnitt 15.8 Abs. 1 UStAE ist die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer durch zollamtlichen Beleg nachzuweisen. Gemäß Abschnitt 15.11 Abs. 1 Nr. 2 UStAE ist dafür der Einfuhrabgabenbescheid oder ein vom zuständigen Zollamt bescheinigter Ersatzbeleg vorzulegen. Die tatsächliche Entrichtung ist hingegen ...