Prof. Dr. Hans-Friedrich Lange
Leitsatz
1. Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung und der Unterschrift auf dem vorgelegten Personalausweis können Umstände darstellen, die den Unternehmer zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen müssen.
2. An die Nachweispflichten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der (angeblichen) innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen Pkws ein Barkauf mit Beauftragten zugrunde liegt.
3. Die innergemeinschaftliche Lieferung von hochwertigen Pkws bei Abholung durch einen Beauftragten gegen Barzahlung birgt eine umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr. Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.
Normenkette
§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1, § 25a Abs. 1 und Abs. 7 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 3 UStG; § 17a, § 17c Abs. 1 und 2 UStDV; Art. 26a Teil B, Teil D Buchst. c, Art. 28c Teil A 6. EG-RL; Art. 131, Art. 138, Art. 139 MwStSystRL
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, betrieb einen Kraftfahrzeughandel. Sie lieferte einen Porsche 911 Carrera 4S Coupe umsatzsteuerfrei zum Preis von 74.000 EUR an die in Italien ansässige "Abnehmerin" T mit Sitz in V. Das Fahrzeug wurde durch Vermittlung einer Firma S durch einen Bevollmächtigten bei der Klägerin abgeholt, der den Kaufpreis bar bezahlte. Als Abholer trat ein Herr mit dem Namen B auf, von dem sich die Klägerin eine Kopie des Personalausweises vorlegen ließ. Die Empfangsbestätigung auf der Rechnung beinhaltet den handschriftlichen Vermerk "Fzg. wird gem. Kaufvertrag vom … nach Italien ausgeführt" und ist mit dem Namen "B" unterschrieben. Diese Unterschrift weicht von der Unterschrift auf der Personalausweiskopie auffällig ab.
Das FG gab der Klage der Klägerin gegen die Versagung der Steuerfreiheit statt, weil sie sich auf die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG berufen könne (Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.8.2011, 5 K 96/08, Haufe-Index 3139695).
Entscheidung
Dem folgte der BFH nicht. Er beanstandete, dass das FG die im Streitfall gegebenen auffälligen Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung und der Unterschrift auf dem vorgelegten Personalausweis von vornherein nicht in seine Würdigung einbezogen hatte, ob die Klägerin mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat.
Der BFH wies die Sache zur erneuten Prüfung der Sache an das FG zurück.
Hinweis
Der Unternehmer kann grundsätzlich die Steuerfreiheit für eine innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden Nachweispflichten erfüllt.
Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 14.11.2012 – XI R 17/12