Rz. 53

[Autor/Stand] Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Die Regelungen der §§ 138d ff. AO stellen die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben dar. So enthält die Amtshilferichtlinie zwingende Vorgaben für den deutschen Gesetzgeber. Insoweit sind die innerstaatlichen Regelungen daher einer Überprüfung durch das BVerfG entzogen.[2] So ist das für die Überprüfung der Mitteilungspflicht als solche zuständige Gericht grundsätzlich der EuGH.[3] Denn Raum für die Anwendung nationalen Verfassungsrechts besteht nur dort, wo der EU-Normgeber den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume einräumt.[4] Inwiefern solche Umsetzungsspielräume anzuerkennen sind, hängt vom Harmonisierungsgrad des unionsrechtlichen Fachrechts ab. Liegt eine vollständige Harmonisierung vor, ist ausschließlich das Unionsrecht als Maßstab heranzuziehen.[5] Dies sollte für einen Großteil der §§ 138d ff. AO zutreffen, die in enger Orientierung an der DAC6-Richtlinie ausgestaltet sind.[6] Gleichwohl ist die Kompetenzverteilung an diese Feststellung nicht gebunden, sodass auch das BVerfG im Rahmen einer nationalen Verfassungsbeschwerde eine Prüfung am Maßstab der Unionsgrundrechte vornehmen kann.[7] In Zweifelsfällen wird gleichwohl eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV geboten sein.[8]

 

Rz. 54

[Autor/Stand] Verfassungsrechtliche Bedenken. Dementsprechend wurden verfassungsrechtliche Fragen im Hinblick auf die innerstaatliche Umsetzung bislang kaum erörtert.[10] Gleichwohl sind auch insoweit Bedenken angebracht, die bspw. das gem. Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Berufsfreiheit und die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betreffen.[11] So greift die erhebliche administrative Mehrbelastung in die Berufsausübungsfreiheit ein. Ferner beeinträchtigt die Pflicht, im Rahmen der Mitteilung Details der steuerlichen Beratung zu offenbaren, das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsträger und Mandant. Das Konzept des Berufsgeheimnisses dient außerdem dem öffentlichen Interesse an einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat,[12] welches durch diese Regelung tangiert wird. Darüber hinaus kann aus der Mitteilungspflicht eine Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, konkret des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, resultieren. Dass Gestaltungen, die unter eines der Kennzeichen fallen, über die Mitteilungspflicht inkriminiert werden, betrifft das Recht der steueroptimalen Gestaltung.[13] Zudem könnten die §§ 138d ff. AO gegen den Grundsatz der Normenklarheit, den Gesetzesvorbehalt sowie den verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz, sich nicht selbst zu belasten, verstoßen.[14] Schließlich spricht vieles dafür, dass die rückblickende Mitteilungspflicht einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot darstellt.[15]

[Autor/Stand] Autor: Engelen, Stand: 01.08.2022
[2] Hierzu kritisch Stöber, BB 2018, 1559 (1566), der eine Tendenz dazu erkennt, verfassungsrechtlich problematische Maßnahmen durch ein Verlagern auf EU-Ebene der Prüfung am Maßstab des nationalen Verfassungsrechts zu entziehen.
[3] Vgl. Hey, FR 2018, 633 (634).
[4] Vgl. Hey, FR 2018, 633 (634).
[5] Vgl. Münch/Sendke, IStR 2021, 455; Gegenfurtner, DStR 2021, 2665 (2666); vgl. EuGH v. 26.2.2013 – C-399/11, ECLI:EU:C:2013:107 = NJW 2013, 1215 Rz. 58 f.
[6] Gestaltungsspielräume bestehen beispielsweise im Hinblick auf die Befreiung der Berufsgeheimnisträger von der Anzeigepflicht und die Sanktionen bei Nichtbefolgung der Anzeigepflicht, vgl. hierzu Münch/Sendke, IStR 2021, 454 (456 f.).
[7] Vgl. BVerfG v. 6.11.2019 – 1 BvR 276/17, NJW 2020, 314 Rz. 59 f.; Sendke, StuW 2020, 219 (232); Brenner in BeckOK, § 138d AO Rz. 188 (Stand: Juli 2022).
[8] Vgl. Münch/Sendke, IStR 2021, 454 (456).
[Autor/Stand] Autor: Engelen, Stand: 01.08.2022
[10] So Eilers/Sommer, ISR 2019, 75 (77).
[11] Vgl. hierzu insbesondere Hey, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer, Februar 2018.
[12] Vgl. Riedl, SWI 2021, 192 (193); Müller/Otter, DStR 2021, 2988; vgl. BVerfG v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, NJW 2018, 2385 Rz. 78.
[13] Hierzu ausführlich Debus, DStR 2017, 2520 (2522 ff.); Stöber, BB 2018, 1559 (1562); Kollmann/Schmidt/Althaus, ISR 2020, 135.
[14] Vgl. Rätke in Klein AO, § 138d Rz. 5 ff.
[15] Vgl. Hey, FR 2018, 633 (638); Stöber, BB 2020, 983 (986). Siehe auch Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen in Deutschland, 2017, S. 37 ff.

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