a) Vorbemerkungen
Rz. 146
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen im Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 v. 24.12.2008 waren in der Literatur bereits frühzeitig Bedenken erhoben worden. Bisweilen wurde sogar die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Erbschaft- und Schenkungsteuer in Frage gestellt.
Rz. 147
Schon in seinem Beschluss v. 5.10.2011, in dem der II. Senat des BFH das Bundesministerium der Finanzen zum Verfahrensbeitritt aufgefordert hatte, warf das Gericht u.a. die Frage auf, ob die neuen Verschonungsregelungen, d.h. konkret, ob § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. den §§ 13a und 13b ErbStG in den damaligen Fassungen deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstießen, weil es die beiden letztgenannten Vorschriften ermöglichten, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.
Rz. 148
Dabei verdeutlichte der BFH seine verfassungsrechtlichen Bedenken an den genannten Normen an drei von ihm skizzierten Konstellationen, namentlich an den Beispielen (1.) einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG, deren Vermögen (im Wesentlichen) aus einem hohen Festgeldguthaben besteht, (2.) einer GmbH, die an sich nicht begünstigte Vermögenswerte (z.B. Grundvermögen, Wertpapiere, Edelmetalle) an eine (gesellschafteridentische) Schwester-GmbH veräußert und den Kaufpreis stundet, sowie (3.) einer echten Betriebsaufspaltung, bei der ein Betrieb vor der Verwirklichung des Steuertatbestands bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft mit nicht mehr als 20 Beschäftigten und eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder nur einen geringen Steuerwert besitzt und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann, aufgespalten wird.
Rz. 149
Mit Beschluss v. 27.9.2012 legte der BFH diese Fragen dem BVerfG zur Entscheidung vor. Er vertrat dabei die Auffassung, dass § 19 Abs. 1 i.V.m. den §§ 13a und 13b ErbStG in der im Jahr 2009 geltenden Fassung wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sei, weil die in den §§ 13a und 13b ErbStG in den damaligen Fassungen vorgesehenen Steuervergünstigungen nicht durch ausreichende Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt seien und einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufwiesen. Die Verfassungsverstöße führten teils für sich allein und teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die Steuerpflichtige, welche die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.
Rz. 150
Der Senat sei von einem Verstoß der Tarifvorschrift des § 19 ErbStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG überzeugt, weil die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen usw. eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung darstelle, und zwar jedenfalls, soweit die Gewährung der Steuervergünstigungen nicht von der Lohnsummenregelung und somit von der Erhaltung von Arbeitsplätzen abhänge und die §§ 13a und 13b ErbStG in den im Jahr 2009 geltenden Fassungen einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufwiesen, da sie es Steuerpflichtigen ermöglichten, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben, und die Vorschriften ferner auch hinsichtlich der Lohnsummenregelung dem Folgerichtigkeitsgebot widersprächen.
Rz. 151
Die §§ 13a und 13b ErbStG in diesen Fassungen ließen es zu, Vermögen jeder Art und in jeder Höhe von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden ohne Anfall von Erbschaft- und Schenkungsteuer zu erwerben, ohne dass es auf eine Gemeinwohlverpflichtung und Gemeinwohlbindung des erworbenen Vermögens ankomme. Dies widerspreche den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Danach sei es dem Gesetzgeber zwar unbenommen, bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe mittels Verschonungsregelungen den Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände – ggf. auch sehr weitgehend – zu begünstigen. Solche Normen müssten allerdings den allgemein für Regelungen zur außerfiskalischen Lenkung oder Förderung geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Insbesondere müssten die Lenkungszwecke von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen, der Kreis der Begünstigten sachgerecht abgegrenzt und die Lenkungszwecke gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Erforderlich sei deshalb, dass die Begünstigungswirkungen ausreichend zielgenau und ...