Kommentar
1. Für den Vorsteuerabzug gilt der Grundsatz des „Sofortabzugs”: Der Leistungsempfänger – als Unternehmer – ist zum Vorsteuerabzug bereits in dem Besteuerungszeitraum berechtigt, in dem er die Rechnung mit Steuerausweis erhält und die übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG erfüllt. Fehlt – z. B. bei Unternehmensgründung – noch die Verwendung der Investitionsleistungen zur Ausführung steuerbarer Umsätze ( § 15 Abs. 2 UStG ), ist nach deutscher Praxis der Vorsteuerabzug grundsätzlich unter Vorbehalt der tatsächlichen Ausführung der beabsichtigten Tätigkeit zu gewähren. Wurde diese Absicht unternehmerischer Tätigkeit nicht verwirklicht, konnte die Gewährung des Vorsteuerabzugs jedenfalls gem. § 164 Abs. 2 AO geändert werden.
2. Aufgrund des EuGH-Urteils v. 29. 2. 1996, Rs. C-110/94 INZO, kann die Unternehmereigenschaft bereits aufgrund der vorbereitenden Leistungsbezüge und der erklärten Absicht, nachhaltig steuerbare Umsätze auszuführen, angenommen werden. Die somit anerkannte Unternehmereigenschaft kann nicht wegen Eintritts/Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden (Grundsatz der Rechtssicherheit).
3. Der BFH bezweckt mit dem Vorlagebeschluß v. 27. 8. 1998, V R 18/97, an den EuGH eine Konkretisierung der Grundsätze zur (endgültigen) Gewährung des Vorsteuerabzugs. Falls der aufgrund der Verwendungsabsicht (sofort) gewährte Vorsteuerabzug endgültig sein soll – selbst wenn tatsächlich keine nachhaltige steuerpflichtige Umsatztätigkeit zustandekommt –, dürfte damit die nach der AO vorgesehene Möglichkeit der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (sowohl in Vorauszahlungs- als auch in Jahresfestsetzungen) zu diesem Punkt nicht mehr zulässig sein.
4. Ergänzend dazu betrifft der Vorlagebeschluß v. 28. 8. 1998, V R 77/96, Auslegungsfragen zum endgültigen Bestand des Vorsteuerabzugs, der aufgrund der erklärten Absicht, ein Gebäude nach Errichtung steuerpflichtig zu vermieten , gewährt wurde, wenn die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung des Verwendungsumsatzes nach Inanspruchnahme der vorsteuerbelasteten Investitionsleistung (durch den Gesetzgeber) beseitigt wird. Der tatsächliche Verwendungsumsatz ist dann zwangsläufig eine steuerfreie Vermietung, die den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG ausschließt.
5. Bei Veräußerung eines bebauten Grundstücks kann der Verzicht auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung ( § 9 UStG ) nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG (i. V. m. § 2 Abs. 1 GrEStG ) nicht auf die vorsteuerbelasteten Gebäude – getrennt von Grund und Boden – beschränkt werden. Das bedeutet, daß der Grundstücksteil – auch wenn er steuerfrei erworben wurde – mit Umsatzsteuer belastet verkauft werden muß oder daß, weil auch die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG das gesamte bebaute Grundstück erfaßt, die Vorsteuer auf die Bauleistungen bei Veräußerung an einen anderen Unternehmer in das Entgelt eingeht, ohne daß dem Erwerber eine Abzugsmöglichkeit (durch Steuerausweis) zukommt. Mit dem Vorlagebeschluß V R 18/97 an den EuGH fragt der BFH daher an, ob das Gemeinschaftsrecht eine Begrenzung der Option auf die Gebäude zuläßt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 27.08.1998, V R 77/96
Hinweise:
Die beiden Vorlagen an den EuGH betreffen zwar in erster Linie Grundsätze des Vorsteuerabzugs in Fällen, in denen nur der Leistungsbezug, aber noch keine tatsächliche Verwendung zur Ausführung von steuerbaren Umsätzen (unternehmerische Umsatztätigkeit) bzw. steuerpflichtigen Umsätzen vorliegt. Aufgrund der bisherigen EuGH-Rechtsprechung ist zu erwarten, daß der EuGH die bei Leistungsbezug beabsichtigte Verwendung als Merkmal für die endgültige Gewährung des Vorsteuerabzugs festschreibt und die Änderung bei nachträglich tatsächlich anderem Verwendungsverlauf nicht für den Besteuerungszeitraum des Vorsteuerabzugs zuläßt. Das hat zwei Folgen:
Zum einen ist in solchen Fällen der Vorsteuerabzu g endgültig und kann wohl nicht mehr – wie bisher – unter Vorbehalt der Nachprüfung gewährt (und auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO berichtigt) werden.
Zum anderen sind die Voraussetzungen der Vorsteuerberichtigung ( § 15a UStG ) dieser Auslegung anzupassen. Da die bei Vorsteuerabzug zugrunde gelegte Absicht steuerpflichtiger Verwendung „für den Vorsteuerabzug maßgebend” war, ist die erstmalige tatsächliche Verwendung – die in einem anschließenden Besteuerungszeitraum stattfindet – als „Änderung der Verhältnisse” anzusehen und Grund für die Vorsteuerberichtigung ab diesem Jahr des Berichtigungszeitraums, der (nach Art. 20 Abs. 2 der 6. Richtlinie mit dem Jahr der Herstellung/Anschaffung des Wirtschaftsguts beginnt). Die Vorlagen haben damit – voraussichtlich – weitreichende Bedeutung.