Leitsatz
Wird der Vorsteuerabzug von einem Leistungsempfänger aus Lieferungen in sog. "Karussellen" geltend gemacht, in denen Waren nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und ggf. an den vorbezeichneten Lieferungsempfänger zurück"geliefert" werden, ist zweifelhaft, ob diese Warenbewegungen innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen.
Normenkette
§ 14 Abs. 3UStG , § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG , Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL , Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-RL
Sachverhalt
Das FA ließ Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Computerteile nicht zum Abzug zu, weil sich die GmbH – als sog. Buffer II – an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt hatte. Sie bezog dabei ihre Waren nahezu ausschließlich von einem anderen Buffer I und verkaufte sie an weitere an dem Karussell beteiligte Firmen, insbesondere an die B-AG als sog. Distributor. Die GmbH hatte jedenfalls 10 % der gehandelten Waren mehrfach bezogen und weiterverkauft. Das FA hatte die Vollziehung der Änderungsbescheide nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt.
Das FG hielt eine Sicherheitsleistung deswegen für unzulässig, weil mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei (EFG 2004, 1405).
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung des FG auf und wies den AdV-Antrag ab. Ergebe die Antwort des EuGH, dass entweder der maßgebende einzelne Umsatz, aufgrund dessen der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird oder die gesamte Warenbewegung nicht als sog. "wirtschaftliche Tätigkeit" i.S.d. 6. EG-RL (steuerbare Tätigkeit i.S.d. UStG) anzusehen ist, scheide der Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die Warenbewegung aus.
Der Rechnungsaussteller schulde die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG (a.F.); andererseits könnten die Warenbewegungen nicht als Umsatz besteuert werden. Dass diese Beurteilung nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben unzutreffend sei, sei weder mit Gewissheit noch mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Vor allem wies er auch die Auffassung des FG zurück, die Inanspruchnahme nach § 14 Abs. 3 UStG widerspreche dem Neutralitätsprinzip der Umsatzsteuer; die Inanspruchnahme sei nur zulässig, solange und soweit die Gefährdung des Steueraufkommens nicht beseitigt sei. Komme es nicht dazu, sei sie systemkonform.
Der Generalanwalt kommt in seinem Schlussantrag vom 16.2.2005 in den verbundenen Rechtssachen C-354/03, C-355/03 und C-484/03 – Optigen, Ltd Fulcrum Electronics Ltd (In Liquidation) und Bond House Systems Ltd – im Wesentlichen zu dem Ergebnis, jeder Umsatz sei für sich zu beurteilen; vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse änderten deshalb nichts am Charakter eines bestimmten Umsatzes in der Kette (Rz. 27). Am Charakter eines Umsatzes in einer Kette ändere sich nichts dadurch, dass die Gegenstände später durch die Hände desselben Händlers gingen. Als Antwort schlägt er vor: "Um festzustellen, ob ein Umsatz in einer Lieferkette als eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-RL anzusehen ist, ist der Umsatz einzeln und für sich zu beurteilen. Umsätze, die Teil einer kreisförmigen Lieferkette sind, in der ein Händler die Beträge unterschlägt, die ihm als Mehrwertsteuer gezahlt werden, anstatt sie bei den Steuerbehörden anzumelden, hören nicht deshalb auf, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-RL darzustellen." Man darf gespannt sein.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft ein Aussetzungsverfahren, in dem es um die Beurteilung von Lieferungen im Rahmen eines Karussellgeschäfts geht. Das FG Baden-Württemberg hatte – anders als andere Finanzgerichte – überhaupt keine Zweifel, dass auch hier ganz normale Warenbewegungen stattfinden.
Im Regelfall haben Karusselle folgende Funktionsweise:
Es werden Waren aus einem anderen Mitgliedstaat an einen Erwerber im Inland steuerfrei verkauft. Der Erwerber (sog. Missing Trader) veräußert die Ware mit einem geringen Aufschlag an einen Abnehmer (sog. Buffer I), der den in der Rechnung des Missing Trader ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer abzieht. Der Missing Trader zahlt – wie von vornherein beabsichtigt – keine Umsatzsteuer und ist deswegen auch nicht mehr zu belangen. Der Buffer I veräußert die Ware an einen Buffer II mit einem Gewinnaufschlag, der mit dem zuvor berechneten Aufschlag allerdings die Höhe der vom Missing Trader hinterzogenen Steuer nicht überschreitet. Die Waren werden schließlich nach dem Vorsteuerabzug durch den Buffer II von diesem an einen Exporteur (sog. Distributor) veräußert, der sie wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat veräußert und die ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.
Ob diese Warenbewegungen (oder welche davon) innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen, ist zumindest zweifelhaft.
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) liegen u.a. die Vorabentscheidungsersuchen Rs. C-354/03 und Rs. C-355/03 des High Court of Justice (England & Wales) vor, die im Wesentlichen darauf gerichtet sind, ob die Beu...