Für die Verweigerung eines Vorsteuerabzugs ist rechtlich hinreichend (gerichtsfest) nachzuweisen, dass der Steuerpflichtige an einem Betrug aktiv beteiligt war oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass die betreffenden Umsätze in einen vom Rechnungsaussteller oder von einem anderen Wirtschaftsbeteiligten auf einer vorhergehenden Umsatzstufe dieser Lieferkette begangenen Betrug einbezogen waren.
Begeht der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung, sind nach der Rechtsprechung des EuGH bereits die objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen, nicht erfüllt.
Eine betrügerische oder missbräuchliche Geltendmachung des Vorsteuerabzugs im Sinne dieser Rechtsprechung liegt im Fall der Kioskbetreiberin nicht vor.
Der Sachverhalt des FG Münster v. 23.3.2022 bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kioskbetreiberin an Umsätzen beteiligte, die in eine vom Lieferer bzw. vom Leistenden oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen waren.
Der Umstand, dass die Kioskbetreiberin selbst eine Steuerhinterziehung beging, stellt jedenfalls für sich genommen keine betrügerische oder missbräuchliche Geltendmachung des Vorsteuerabzugs im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar. Denn die Tathandlung, aus der sich überhaupt erst die Strafbarkeit der Kioskbetreiberin wegen Steuerhinterziehung ergibt, ist nicht die Geltendmachung unberechtigter Vorsteuerabzüge gegenüber den Finanzbehörden, sondern das Verschweigen steuerpflichtiger Ausgangsumsätze. Auch unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH lässt allein der Umstand, dass für ein nicht in ein betrügerisches System eingebundenes Unternehmen Ausgangsumsätze nicht angemeldet werden, die Geltendmachung tatsächlich entstandener Vorsteuern nicht als missbräuchlich erscheinen.
Die fehlende Erfassung der Eingangsumsätze bei der Gewinnermittlung der Kioskbetreiberin indiziert eine Steuerhinterziehung im Bereich der Einkommensteuer (doppelte Verkürzung).
Es erscheint folgerichtig, wenn das FG Münster keine weitere Entscheidung über Versagungsgründe wegen Beteiligung der Leistungsempfängerin an einer Mehrwertsteuerhinterziehung trifft. Das FG Münster führt dazu aus:
"Da der Klägerin bereits wegen des fehlenden Besitzes von zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen der Vorsteuerabzug zu versagen war, bedarf es – auch wenn nach den, von der Kioskbetreiberin bestrittenen, Prüfungsfeststellungen des Finanzamts sowie des StrafaFA ein solcher Fall vorliegen würde – keiner weiteren Entscheidung darüber, ob der Kioskbetreiberin darüber hinaus der Vorsteuerabzug auch deswegen zu versagen gewesen wäre, weil sie wusste oder hätte wissen müssen, dass sie sich durch den Umsatz, auf den sie sich zur Begründung ihres Vorsteuerabzugsrechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat."