Leitsatz
Bei der Prüfung der zeitlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Baubetriebsstätte i.S.d. DBA Ungarn sind mehrere Bauausführungen nicht zusammenzurechnen. Bauarbeiten an verschiedenen Orten können allenfalls dann als einheitliche Bauausführung angesehen werden, wenn zwischen ihnen ein technischer und organisatorischer Zusammenhang besteht. Es reicht nicht aus, dass es sich um gleichartige Arbeiten handelt, die für ein und denselben Auftraggeber ausgeführt werden.
Normenkette
§ 12 Satz 2 Nr. 8 AO , Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA-Ungarn
Sachverhalt
Klägerin war eine ungarische Kapitalgesellschaft mit Sitz in Ungarn. Sie führte im Stadtgebiet von München als Subunternehmerin mit eigenen ungarischen Arbeitern diverse Bauarbeiten für ein und denselben Auftraggeber aus, insgesamt auf 3 Baustellen. Die Arbeiter wohnten in Baucontainern, sie wurden stets nur auf einer Baustelle eingesetzt.
Soweit die einzelnen Bauausführungen in zwei Fällen länger als ein Jahr in Anspruch nahmen, sah das FA darin inländische Betriebsstätten der Klägerin, die folglich mit ihren jeweiligen Gewinnen beschränkt steuerpflichtig sei.
Entscheidung
Der BFH folgte dem FA nicht. Nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. g DBA Ungarn umfasse der Begriff der Betriebsstätte insbesondere eine Bauausführung, deren Dauer 12 Monate überschreite. Diese Voraussetzungen würden für zwei der in Rede stehenden Bauausführungen nicht erfüllt, so dass eine Betriebsstätte sich nur dann annehmen lasse, wenn man sie zusammenrechne. Das sei indes nur möglich, wenn sich zwischen den einzelnen Bautätigkeiten eine wirtschaftliche und geografische Einheit feststellen lasse (vgl. Betriebsstättenerlass, BMF vom 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076, Tz. 4.3.5).
Eine wirtschaftliche Einheit setze einen technischen und organisatorischen Zusammenhang voraus. Dafür bedürfe es zwar nicht unbedingt eines einheitlichen Auftrags, jedoch "aus der Sicht des Auftragnehmers bei wertender Betrachtung" eines einzigen Einsatzes. Daran fehle es im Urteilsfall. Unabhängig davon stellten aber auch die Baucontainer keine "festen" Einrichtungen dar, weil sie ihrerseits den besagten 12-Monats-Zeitraum nicht überschritten.
Hinweis
1. Einer Bauausführung fehlt regelmäßig die erforderliche feste Verbindung mit der Erdoberfläche, um eine Betriebsstätte annehmen zu können. Dennoch ist eine gewisse "Verwurzelung" bei lang dauernden Baumaßnahmen nicht zu verkennen. Das Gesetz behilft sich deswegen bestimmter Fiktionen: Gem.§ 12 Abs. 1 Nr. 8 AO ist eine Betriebsstätte anzunehmen, wenn (1) die einzelne Bauausführung oder Montage oder (2) eine von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen oder Montagen oder (3) mehrere ohne Unterbrechung aufeinander folgende Bauausführungen oder Montagen länger als 6 Monate dauern. Nach Abkommensrecht wird der sachliche und zeitliche Rahmen erheblich eingeschränkt: Eine Bauausführung ist nur dann eine Betriebsstätte, wenn ihre Dauer 12 Monate überschreitet (vgl. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA). Da es im Urteilsfall um die Anwendung des DBA Ungarn ging, kam § 12 AO nicht zum Zug.
2. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund wird es nun regelmäßig problematisch, wenn ein und derselbe Unternehmer in geografisch-regionaler Nähe gleich mehrere Bauausführungen nebeneinander betreibt, die isoliert unterhalb des fraglichen 12-Monats-Zeitraums bleiben, sich insgesamt jedoch über einen Zeitraum hinziehen, der betriebsstättenbegründend wäre. Es stellt sich dann die Frage der Zusammenrechnung der einzelnen Maßnahmen.
Dazu bedarf es aber eines gewissen "inneren Zusammenhangs" zwischen den einzelnen Arbeiten, und zwar eines solchen organisatorischer, technischer oder wirtschaftlicher Art. Zwar ist dafür nicht unbedingt ein einziger Leistungsauftrag erforderlich, auch mehrere getrennte Aufträge können genügen. Es reicht aber nicht aus, wenn hinter den Maßnahmen nur ein einziger Auftraggeber steckt. Es reicht ebenso wenig aus, dass die erbrachten Arbeiten gleichartiger Natur sind (z. B. Maurer- oder Verputzarbeiten). Es muss schon mehr hinzukommen, namentlich ein einheitliches Bauvorhaben oder Folgeaufträge, wenn diese schon bei Abschluss des Erstvertrags eingeplant waren, ggf. auch die organisatorische "Verzahnung" der einzelnen Maßnahmen.
Beachten Sie: Auch bei Vorliegen entsprechender verknüpfender Merkmale muss wohl noch eine gewisse räumliche Verbundenheit hinzukommen. Der BFH entsagt sich im Urteilsfall eine klare Aussage dazu, wann eine solche Verbundenheit vorliegt. Die Finanzverwaltung scheint einen geografischen Radius von 50 km innerhalb eines Stadtgebiets als Kriterium anzusetzen. Es dürfte fraglich sein, ob solche selbst gesteckten Voraussetzungen eine einheitliche Bauausführung begründen können. Entscheidend wird vielmehr die Gesamtwürdigung des Sachverhalts im jeweiligen Einzelfall sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.5.2001, I R 47/00