Leitsatz
Ein rückwirkender Wechsel von der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 UStG) ist bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig.
Normenkette
§ 16 Abs. 1, § 18 Abs. 3 und 4, § 19 Abs. 2, § 20, § 23 Abs. 3 UStG, § 9 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 38 AO
Sachverhalt
Der Kläger gab seine USt-Voranmeldungen für das Jahr 1996 nach vereinnahmten Entgelten ab. Seine Umsatzsteuer-Jahreserklärung beruhte auf einer Sollbesteuerung der Umsätze und führte zu einer formell bestandskräftigen Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO).
Im Februar 2000 reichte der Kläger eine berichtigte Erklärung auf der Grundlage von vereinnahmen Entgelten ein. Das FA setzte die Steuer im März 2000 zunächst entsprechend der berichtigten Erklärung fest. Es hob den Änderungsbescheid mit Bescheid vom Mai 2000 gem. § 164 Abs. 2 AO wieder auf.
Das FG wies die Klage auf Aufhebung des Bescheids vom Mai 2000 mit dem Ziel der Istbesteuerung ab (Sächsisches FG, Urteil vom 21.06.2006, 6 K 1593/02, Haufe-Index 1986037, EFG 2008, 1247):
Der Kläger habe in seiner Jahressteuererklärung rückwirkend und ohne Weiteres von der Ist- zur Sollbesteuerung übergehen können; eine Rückkehr zur Istbesteuerung sei aufgrund der formellen Bestandskraft der Jahressteuerfestsetzung nicht mehr zulässig gewesen, sodass der Änderungsbescheid vom März 2000 rechtswidrig und gem. § 164 Abs. 2 AO aufzuheben gewesen sei.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Die Umsatzsteuer ist nach § 16 Abs. 1 S. 1 UStG nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) zu berechnen. Nach § 20 UStG kann das FA auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen die Berechnung nach vereinnahmten Entgelten gestatten (Istbesteuerung).
2. Die Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ist ein begünstigender VA (§ 118 AO). Der Steuerpflichtige muss daher davon keinen Gebrauch machen.
Hat er dies aber für einen bestimmten Besteuerungszeitraum getan, war bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden, ab welchem Zeitpunkt eine Bindung an die gewählte Istbesteuerung eintritt oder – anders ausgedrückt – bis zu welchem Zeitpunkt rückwirkend ein Wechsel zur Sollbesteuerung zulässig ist.
3. Gegen die Zulässigkeit eines rückwirkenden Wechsels spricht nicht bereits § 38 AO. Danach entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Daraus folgt nach allgemeiner Ansicht zwar, dass ein einmal entstandener Anspruch nicht mehr durch Rückbeziehung oder Rückgängigmachung tatsächlicher oder rechtlicher Vorgänge beeinflusst werden kann. Dieser Grundsatz gilt aber nicht uneingeschränkt und steht der Ausübung von gesetzlichen Wahlrechten und Optionen nicht entgegen.
4. Die folgenden Überlegungen sprechen dafür, dass ein Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung rückwirkend nur bis zur Unanfechtbarkeit, also der formellen Bestandskraft des Jahressteuerbescheids, zulässig ist:
a) Eine Istbesteuerung kann nicht mehr für einen Besteuerungszeitraum gestattet werden, der bereits durch eine formell bestandskräftige Umsatzsteuer-Festsetzung abgeschlossen ist (BFH, Beschluss vom 28.08.2002, V B 65/02, BFH/NV 2003, 210). Es ist kein Grund ersichtlich, für die Möglichkeit, eine Istbesteuerung rückgängig zu machen, einen anderen Zeitpunkt zu bestimmen.
b) Auch sonst können nach ausdrücklich im UStG getroffenen Regelungen Verfahrenshandlungen nur bis zur Unanfechtbarkeit des Jahresbescheids vorgenommen oder rückgängig gemacht werden:
- Die Option eines Kleinunternehmers zur Regelbesteuerung kann nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erfolgen (§ 19 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 3 und 4 UStG).
- Der Antrag auf eine Besteuerung nach Durchschnittssätzen kann ebenfalls bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gestellt werden (§ 23 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 3 und 4 UStG).
c) Für die Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 1 UStG fehlt eine gesetzliche Regelung, bis zu welchem Zeitpunkt sie spätestens zu erklären ist oder rückgängig gemacht werden kann. Der BFH hat entschieden, dass eine Option zur Steuerpflicht nach Eintritt der formellen Bestandskraft nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (Beschluss vom 06.08.1998, V B 146/97, BFH/NV 1999, 223).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.12.2008, XI R 1/08