Birthe Kramer, Dietrich Weilbach
Rz. 93f
Die Grunderwerbsteuer erfasst außer der Übertragung eines Grundstücks selbst (§ 1 Abs. 1 GrEStG) auch Erwerbsvorgänge, die wirtschaftlich betrachtet einer solchen Grundstücksübertragung gleichkommen. Das ist bei solchen Rechtsvorgängen der Fall, bei denen Anteile an einer Gesellschaft mit Grundbesitz in einem Umfang übertragen werden, der den Erwerber in die Lage versetzt, die Herrschaftsmacht über die Gesellschaft und damit über deren Grundbesitz auszuüben. Der Gesetzgeber hatte diese Rechtsvorgänge mit den sog. Ersatz- bzw. Ergänzungstatbeständen des § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG aufgefangen. Mit diesen Ergänzungstatbeständen will der Gesetzgeber Steuerumgehungen verhindern, die mit der Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft mit Grundbesitz erreicht werden könnten.
Nach § 1 Abs. 2a GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer unmittelbare und mittelbare Übertragungen von mindestens 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen einer grundbesitzenden Personengesellschaft auf neue Gesellschafter innerhalb von 5 Jahren (vgl. Rz. 78a ff.). Nach § 1 Abs. 3 GrEStG unterliegt außerdem der Steuer die unmittelbare und mittelbare Vereinigung von mindestens 90 % der Anteile einer Personen- oder Kapitalgesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen sowie der Erwerb (Übergang) von mindestens 95 % der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften. Die Vorschrift erfasst damit den Erwerb der Sachherrschaft über inländische Grundstücke einer Gesellschaft, die ohne Änderung des zivilrechtlichen Eigentums eintritt. Zivilrechtlicher Eigentümer dieser Grundstücke bleibt zwar die Gesellschaft, grunderwerbsteuerrechtlich hat sich die Zuordnung der Grundstücke dennoch geändert (vgl. Rz. 87ff.). Der Gesetzgeber lässt sich insoweit auch von wirtschaftlichen Erwägungen leiten, obgleich eine wirtschaftliche Betrachtungsweise dem Grunderwerbsteuerrecht eigentlich fremd ist (vgl. BFH v. 21.7.1991, II R 157/88, BFH/NV 1992, 57, und BFH v. 20.12.2000, II R 26/99, BFH/NV 2001, 1040; siehe auch Rz. 91).
Ungeachtet der Zielsetzung des Gesetzgebers lässt sich die Grunderwerbsteuer aus diesen sog. Ergänzungstatbeständen regelmäßig dadurch vermeiden, dass weniger als 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen an einer Personengesellschaft auf neue Gesellschafter übergehen (§ 1 Abs. 2a GrEStG) oder weniger als 90 % der Anteile an einer Gesellschaft in einer Hand vereinigt werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG) oder solchermaßen vereinigte Anteile übergehen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 GrEStG). Die Zurückbehaltung derartiger Anteile, ggf. auch sog. Zwerganteile, ist grundsätzlich nicht als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu werten (vgl. hierzu Rz. 93h), auch wenn die (verbleibende) Minderheitsbeteiligung gesellschaftsrechtlich schwächer ausgestaltet ist als die des Mehrheitsgesellschafters (z. B. Vorzugsanteile anstelle von Stammanteilen). Ein etwaiger geringerer wirtschaftlicher Wert der Minderheitsbeteiligung spielt im Zusammenhang mit der Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG ebenso wenig eine Rolle wie die Existenz eines Kapitalkontos des betreffenden Gesellschafters und dessen positiver oder negativer Stand (vgl. BFH v. 26.7.1995, II R 68/92, BStBl II 1995, 736: Fischer, in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. 2011, § 1 Rz. 938; Hofmann, GrEStG, 9. Aufl. 2010, § 1 Rz. 141; Pahlke, in Pahlke/Franz, GrEStG 4. Aufl. 2010, § 1 Rz. 323; gleich lautende Ländererlasse v. 25.2.2010, BStBl I 2010, 245, Tz. 1.3).
E möchte die Majorität der Anteile an einer GmbH mit Grundbesitz erwerben. Er legt dabei Wert darauf, dass die Kontrolle über das Investment allein bei ihm liegt und der Anfall von Grunderwerbsteuer vermieden wird. Hierzu erwirbt E nur 89,9 % der Anteile, die restlichen Anteile, die als Vorzüge ausgestaltet sind, übernimmt X.
Mit dem Erwerb der Anteile an der Ziel-GmbH wird der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht verwirklicht, weil nicht mindestens 90 % der Anteile in der Hand des Erwerbers E vereinigt sind. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist die Beteiligung des X wegen der beschränkten Stimmrechte zu vernachlässigen. X ist wirtschaftlich betrachtet zu deutlich weniger als 10,1 % beteiligt. Er hat dementsprechend relativ wenig für die Anteile aufzubringen. "Alleinherrscher" über das Vermögen der Ziel-GmbH und damit auch über deren Grundbesitz ist E.
Gelegentlich verzichtet der Minderheitsgesellschafter auch trotz des Erwerbs von Stammanteilen auf seine mit seiner Beteiligung verbundenen Stimmrechte. Damit werden zwar seine Rechte als Gesellschafter eingeschränkt bzw. ausgehöhlt, aber seine grunderwerbsteuerrechtlich allein relevante Beteiligung am Kapital als solche wird dadurch nicht beschnitten. Allerdings kann nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Stimmrechtsverzicht eine treuhänderische Stellung des Minderheitsgesellschafters indizieren, sodass auch seine Beteiligung grunderwerbsteuerrechtlich dem Erwerber zuzurechnen wäre (vgl. FG Baden-Würt...