Birthe Kramer, Dietrich Weilbach
Rz. 85
Da die Nennung des § 1 Abs. 2a GrEStG in § 1 Abs. 6 GrEStG leerläuft, wurde sie aus der Aufzählung in § 1 Abs. 6 GrEStG herausgenommen.
Verschiedentlich findet sich die Auffassung, seit Inkrafttreten des § 1 Abs. 2a GrEStG sei die Rechtsprechung des BFH zur Einschränkung von Vergünstigungen der §§ 5 und 6 GrEStG nicht mehr anwendbar (Fischer, a. a. O., Rz. 820), weil es sich um eine abschließende Sonderregelung handele, die den aus § 42 AO hergeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorgehe, auf die der BFH die Versagung der Vergünstigung stützt.
Bis zur Wirksamkeit des § 5 Abs. 3 GrEStG der in der Tat der bisherigen Rechtsprechung in erweitertem Umfang einen gesetzlichen Rahmen verleiht, sind Fälle denkbar, die unterhalb der Schwelle des § 1 Abs. 2a GrEStG von der Rechtsprechung erfasst werden (vgl. auch Viskorf, DStR 2001, 1101 [1105]). Besteht bei Einbringung eines Grundstücks ein vorgefasster Plan, einen Anteil von weniger als 90 % auf einen Dritten zu übertragen, so ist kein Grund ersichtlich, die Rechtsprechung des BFH nicht anzuwenden. Dies gilt ebenso in Fällen des § 6 GrEStG, bei dem eine mit § 5 Abs. 3 GrEStG korrespondierende Regelung lange Zeit fehlte. Intention des Gesetzgebers mit der Konzeption des § 1 Abs. 2a GrEStG war es, in erster Linie die Fälle in den Griff zu bekommen, welche die BFH-Rechtsprechung nicht erfasste, nicht aber, die Rechtsprechungsgrundsätze zu beschränken.
Der BFH hat die Gelegenheit bekommen, die Frage zu entscheiden. Das FG Niedersachsen hat mit Urteil v. 3.4.2001, 7 K III 139/96, EFG 2003, 180, einen Fall entschieden, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Eheleute besaßen in Bruchteilsgemeinschaft ein Hausgrundstück, das sie in eine GbR einbrachten. Taggleich mit der Gründung der GbR übertrug die Ehefrau ihren Anteil auf den Bruder des Mannes. Das FG bestätigte die Auffassung des Finanzamts, dass es sich hierbei um den Erwerb eines Grundstücksanteils und nicht eines Gesellschaftsanteils handelte, und begründete seine Entscheidung mit § 42 AO. Wegen der grundsätzlichen Frage, ob neben § 1 Abs. 2a GrEStG, dessen Anwendung hier nicht in Betracht kam, auch § 42 AO Platz greift, wurde die Revision zugelassen und auch eingelegt.
Der BFH hat die Auffassung der Finanzverwaltung und des Niedersächsischen FG indes nicht bestätigt und der Klage stattgegeben. Entgegen der Auffassung des FG liege kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts zur Umgehung des Steuergesetzes i. S. v. § 42 AO 1977 vor. Das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs könne auch nicht aus einer "Gesamtschau" der von den Beteiligten verwirklichten Sachverhalte (Gründung der GbR, Übertragung der Miteigentumsanteile am Grundstück von den Eheleuten auf die GbR, Übertragung des Gesellschaftsanteils der Ehefrau auf den Kläger) abgeleitet werden. Das Finanzamt und das FG hätten verkannt, dass im Streitfall der Gesichtspunkt der Steuervermeidung zwar bei der grunderwerbsteuerrechtlichen Beurteilung der Einbringung der Miteigentumsanteile von den Eheleuten auf die GbR Berücksichtigung finden könnte, nicht aber eine Tatbestandsmäßigkeit der anschließenden Übertragung des Gesellschaftsanteils begründen kann. Über die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung der Übertragung der Miteigentumsanteile an den Grundstücken durch die Eheleute auf die von ihnen gegründete GbR habe der BFH jedoch nicht zu befinden, da dieser Lebenssachverhalt von dem angefochtenen Bescheid nicht erfasst ist (BFH v. 22.10.2003, II R 59/01, BFH/NV 2004, 367).
§ 6 Abs. 3 GrEStG privilegiert Grundstückübertragungen von einer auf eine andere Gesamthand, sofern die Beteiligungsverhältnisse identisch sind.
Liegt der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG vor, weil ein Gesellschafter seinen Anteil auf einen Dritten überträgt und die 90 %-Grenze im Zusammenwirken mit einer Kapitalaufstockung (originärer Erwerb) überschritten ist, ist die Steuer in Höhe der Quote nicht zu erheben, mit welcher der alte Gesellschafter jetzt an der "neuen" Gesellschaft beteiligt ist.
Fraglich ist, ob § 6 Abs. 3 GrEStG bei mittelbaren Änderungen im Gesellschafterbestand Anwendung finden kann.
An einer KG sind die A-GmbH zu 4 % und die B-GmbH zu 96 % beteiligt. Die C-GmbH, die zu 100 % an der B-GmbH beteiligt ist, überträgt diese auf D.
Die mittelbare Änderung im Gesellschafterbestand – C war an B zu mehr als 90 % beteiligt – löst den Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG aus und fingiert damit die Übertragung des Grundbesitzes auf eine neue Personengesellschaft. Diese ist jedoch als bloße Fiktion nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 6 Abs. 3 GrEStG auszulösen.
Andernfalls wäre § 1 Abs. 2a GrEStG in vergleichbaren Fällen mittelbarer Veränderungen im Gesellschafterbestand nicht mehr anwendbar, eine Rechtsfolge, die der ratio legis elementar widerspräche. Denn dem Gesetzgeber war daran gelegen, mit der Gesetzesänderung auch mittelbare Veränderungen im Gesellschafterbestand zu erfassen, was die ursprüngliche Fassung nicht zuließ.
Mit Urteil v. 27.4.2005, II R 61/03...