Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt
Leitsatz
1. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 1 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) liegt vor, wenn der vom Arbeitgeber auf ein geliehenes Konto überwiesene Lohn des Schuldners unterhalb der Pfändungsgrenzen des § 850c der Zivilprozessordnung (ZPO) liegt, denn der Pfändungsschutz reicht nur bis zur Auszahlung des Arbeitseinkommens auf ein Konto.
2. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 1 AnfG liegt ebenfalls vor, wenn der Schuldner die Möglichkeit hatte, ein Pfändungsschutzkonto nach § 850k ZPO einzurichten, dieses aber unterlassen hat und das Geld stattdessen auf ein geliehenes Konto überweisen lässt.
Normenkette
§ 1, § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AnfG, § 850c, § 850k ZPO
Sachverhalt
Der Ehemann der Klägerin (der Schuldner S) hatte gegenüber dem FA seit vielen Jahren Steuerschulden. Daher nutzte S für den Erhalt seines Lohns nicht ein eigenes Bankkonto, sondern dasjenige seiner Ehefrau (der Klägerin). Allerdings war der Lohn so gering, dass er die nach den Pfändungstabellen pfändbaren Beträge unterschritt. Gleichwohl erließ das FA gegenüber der Klägerin einen Duldungsbescheid, mit dem es die Auszahlung des Lohns auf das Konto der Klägerin anfocht gemäß § 3 Abs 1 AnfG. Das FA argumentierte, eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht liege vor und die Klägerin habe hiervon Kenntnis gehabt, da das FA schon zuvor (erfolglos) versucht habe, das Bankkonto zu pfänden. Aufgrund der Anfechtung sei die Klägerin verpflichtet, die Vollstreckung zu dulden.
Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2020, 10 K 10135/18) hob den Duldungsbescheid auf, weil der Lohn die nach den Pfändungstabellen pfändbaren Beträge unterschritten habe und das FA daher ohnehin keinen Zugriff gehabt habe.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Hinweis
Eine "Kontoleihe" sollte in der Praxis unbedingt vermieden werden. Dies zeigt der hier entschiedene Fall des BFH. Das FA kann in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen durch einen sog. Duldungsbescheid gegen den Inhaber des geliehenen Kontos vorgehen.
1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO erfolgt die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede (§ 9 AnfG) geltend zu machen ist.
Gemäß § 1 AnfG können Rechtshandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger benachteiligen, außerhalb des Insolvenzverfahrens angefochten werden.
a) Im Falle einer "Kontoleihe" stellen die Einzahlung auf ein als Eigenkonto geführtes Bankkonto eines anderen sowie die Aufforderung an einen Drittschuldner, mit schuldbefreiender Wirkung auf ein derartiges Konto zu leisten, eine Rechtshandlung i.S.d. § 1 AnfG dar.
b) Eine objektive Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 1 Abs. 1 AnfG ist auch die Einzahlung auf das "geliehene" Bankkonto eines anderen oder die Aufforderung an einen Drittschuldner, mit schuldbefreiender Wirkung auf ein solches Konto zu überweisen (hier: Lohnauszahlung durch den Arbeitgeber).
Dagegen sprach im Streitfall nicht, dass die streitigen Beträge die nach § 850c ZPOpfändbaren Beträge unterschritten, so der BFH. Denn der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff. ZPO reiche nur bis zu seiner Auszahlung auf ein Konto. Eine Anfechtung im Wege des Duldungsbescheids werde hierdurch nicht beschränkt.
2. Der Klägerin half auch nicht das Argument, dass der Schuldner die Möglichkeit gehabt hätte, ein Pfändungsschutzkonto i.S.d. § 850k ZPO einzurichten, wodurch die auf dieses Konto überwiesenen Beträge vor dem Zugriff der Gläubiger grundsätzlich geschützt gewesen wären. Auch in einem solchen Fall liege eine objektive Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 1 AnfG vor, so der BFH. Die Möglichkeit des Pfändungsschutzkontos stelle lediglich einen hypothetischen Geschehensablauf dar. Dieser ist grundsätzlich unbeachtlich. Vielmehr habe der Schuldner nach dem Willen des Gesetzgebers selbst für den Schutz der an ihn gerichteten Zahlungen Sorge zu tragen, indem er alles dahin gehend veranlasse, dass seine Zahlungen auf einem eigenen Pfändungsschutzkonto statt auf dem Konto eines Dritten eingingen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.11.2023 – VII R 11/20