Leitsatz
1. Die Anfechtung gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens gemäß § 191 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO i.V.m. §§ 1 ff. AnfG erfolgt durch Duldungsbescheid.
2. Der Erlass von Duldungsbescheiden kann gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Zahlungsverjährung gegenüber dem Steuerschuldner unterbrechen.
3. Die Aufforderung an einen Drittschuldner, mit schuldbefreiender Wirkung auf ein als Eigen‐, nicht als Anderkonto geführtes Bankkonto eines anderen zu leisten, kann eine anfechtbare Rechtshandlung i.S. der §§ 1 ff. AnfG sein.
4. Wenn der Empfänger die Leistung des Schuldners nachweislich auszugleichen hat, liegt keine unentgeltliche Leistung i.S. des § 4 Abs. 1 AnfG vor.
5. Die bloße Erteilung einer (Vorsorge-)Vollmacht führt nicht stets zur Zurechnung des Wissens des Bevollmächtigten gemäß § 166 Abs. 1 BGB.
Normenkette
§ 191 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO, § 231 Abs. 2 AO, § 233a AO, § 238 AO, § 251 Abs. 2 AO, §§ 1 ff. AnfG, § 11 AnfG, § 166 Abs. 1, § 818, § 819 Abs. 1 BGB, § 79 BVerfGG
Sachverhalt
Der damals 20 Jahre alte Kläger eröffnete in 2005 ein Girokonto und räumte seinen Eltern eine Kontovollmacht ein. Sein Vater (Steuerschuldner) betrieb ein Bauunternehmen und war hoch verschuldet. Vollstreckungsversuche des FA beim Steuerschuldner wegen rückständiger Steuern in Höhe von fast 200.000 EUR blieben erfolglos.
Nachdem das FA erfahren hatte, dass der Steuerschuldner seine Kunden gegen Ende des Jahres 2011 dazu aufgefordert hatte, die von ihm erteilten Rechnungen durch Überweisungen auf das Girokonto des Klägers zu begleichen, erklärte es die Anfechtung dieser Handlungen und nahm den Kläger gemäß § 191 Abs. 1 AO mit Duldungsbescheid in Höhe der auf seinem Konto eingegangenen Fremdgelder (nach Ansicht des FA rund 182.000 EUR, tatsächlich rund 171.000 EUR) in Anspruch.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage. Im Termin zur mündlichen Verhandlung reduzierte das FA den Betrag der Inanspruchnahme des Klägers um ca. 11.000 EUR; insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im Übrigen wies das FG die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.11.2018, 3 K 3162/15, Haufe-Index 12602479, EFG 2019, 227). Es verneinte eine Vorsatzanfechtung gemäß § 3 Abs. 1 AnfG, bejahte jedoch die Voraussetzungen für eine sogenannte Schenkungsanfechtung gemäß § 4 Abs. 1 AnfG. Der Steuerschuldner habe seine Kunden veranlasst, Zahlungen in Höhe von insgesamt 170.948,09 EUR auf das Konto des Klägers zu leisten, dann das Geld unverzüglich wieder abgehoben oder weiterüberwiesen, ohne dass der Kläger davon etwas bemerkt habe. Damit seien diesem gegenüber unentgeltliche Leistungen erbracht worden. Auf Entreicherung könne sich der Kläger nicht berufen, weil ihm gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 AnfG, §§ 818 Abs. 4, 819 BGB i.V.m. § 166 Abs. 1 BGB die haftungverschärfende Kenntnis des Steuerschuldners zuzurechnen sei, da er diesem in 2005 eine Kontovollmacht erteilt habe.
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Hinweis
Der BFH hatte sich mit einem in der Praxis nicht seltenen Fall der sog. Kontoleihe zu beschäftigen und verschiedene Einzelfragen zu klären. Eine Kontoleihe liegt vor, wenn der alleinige zivilrechtliche Kontoinhaber einem Dritten die tatsächliche Möglichkeit einräumt, von diesem Konto Ein- und Auszahlungen vorzunehmen und/oder Überweisungen durchzuführen (vgl. hierzu Stoltz, DStR 2019, 1044 und Haunhorst, DStR 2014, 1451). In diesen Fällen gehen die FA mittels Duldungsbescheid gegen die Kontoinhaber vor und machen Anfechtungsansprüche nach §§ 1ff. AnfG geltend.
1. Der BFH hat im Urteil erstmals klargestellt, dass das FA kein Wahlrecht hat, ob es einen Duldungsbescheid (§ 191 AO) erlässt oder eine auf das AnfG gestützte Klage zum Zivilgericht (§ 13 AnfG) erhebt. Damit schließt er sich der Rechtsprechung des BGH und des BVerwG an (BVerwG, Urteil vom 25.1.2017, 9 C 30/15, BStBl II 2018, 116; BGH, Beschlüsse vom 21.9.2006, IX ZB 187/05, FamRZ 2006, 1836, und vom 27.7.2006, IX ZB 141/05, HFR 2007, 77).
2. Ein Duldungsbescheid kann nicht mehr erlassen werden, wenn die Steuerschuld zahlungsverjährt ist (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 191 AO Rz. 224; §§ 228ff. AO). Im Streitfall hat der BFH eine Unterbrechung der Verjährung nach § 231 AO geprüft. In Frage kam danach auch eine Vollstreckungsmaßnahme (§ 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Eine solche Vollstreckungsmaßnahme kann auch der Duldungsbescheid sein, obwohl er sich auf den ersten Blick nicht gegen den Steuerschuldner richtet, sondern gegen den Anfechtungsgegner. Dafür spreche der Sinn und Zweck der Duldungsinanspruchnahme, welche die Vollstreckung unter bestimmten Umständen auf weggegebene Vermögensgegenstände ausdehnt.
3. Die Duldungsverpflichtung erstreckt sich auch auf Zinsen, Säumniszuschläge und sonstige steuerliche Nebenleistungen (§ 191 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. §§ 37 Abs. 1, 3 Abs. 4 AO). Deshalb hat der BFH auf § 251 ...