Leitsatz
1. Wird die Zahlungsverjährung gegenüber dem Steuerschuldner durch den Erlass eines Duldungsbescheids unterbrochen, beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Duldungsbescheid erlassen wurde, eine neue Zahlungsverjährungsfrist.
2. Die Fristen der §§ 3 ff. AnfG sind nicht in § 15 AnfG hineinzulesen; es genügt, wenn die jeweilige Frist durch Erlass eines Duldungsbescheids gegenüber einem Vorerwerber gewahrt wurde.
3. Wurde eine in den §§ 3 ff. AnfG genannte Frist gegenüber einem Vorerwerber gewahrt, ist es im Verhältnis zu den gemäß § 15 AnfG in Anspruch genommenen Rechtsnachfolgern unschädlich, wenn der fristwahrende Bescheid nach Weitergabe des Vermögensgegenstands wieder aufgehoben wird.
4. Ein Rechtsnachfolger kann nur innerhalb einer Frist von zehn Jahren nach seinem Erwerb durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden.
Normenkette
§ 3 ff., § 1, § 7, § 8, § 12, § 15 AnfG, § 191, § 231 AO
Sachverhalt
Der Steuerschuldner übertrug mit notariellem Vertrag vom 28.8.2000 mit der Mutter des gemeinsamen Sohnes S ein Grundstück auf S und behielt sich ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht vor.
Am 2.1.2002 erließ das FA einen Duldungsbescheid gegenüber S, in dem es wegen ESt-Verbindlichkeiten des Vaters für 1999 i.H.v. 8.257.335,90 DM die Übertragung des Grundstücks nach § 191 AO i.V.m. § 4 AnfG anfocht.
Mit notariellem Vertrag vom 26.3.2002 (und Nachtrag vom 24.2.2004) verkaufte S (handelnd durch seine Mutter) das Grundstück an die Klägerin – seine Tante – für 37.500 EUR. Das auf dem Grundstück lastende Nießbrauchsrecht wurde übernommen. Auch er selbst behielt sich ein aufschiebend bedingtes lebenslanges Nießbrauchsrecht vor.
Am 19.2.2008 erließ das FA den streitgegenständlichen Duldungsbescheid gegenüber der Klägerin, in dem es wegen ESt-Verbindlichkeiten des Steuerschuldners für 1999 zum damaligen Zeitpunkt i.H.v. 4.066.423,45 EUR die Übertragung des Grundstücks durch S an die Klägerin nach § 191 AO i.V.m. § 4 AnfG anfocht. Am 8.2.2016 erließ das FA ein Leistungsgebot gemäß § 254 AO i.V.m. §§ 11, 14 AnfG zum Duldungsbescheid vom 19.2.2008 – nunmehr ausgehend von rechtskräftig festgesetzten Steuerschulden i.H.v. 2.696.643,65 EUR, wogegen diese ebenfalls Einspruch einlegte.
Nach erfolglosen Einspruchsverfahren wies das FG die Klage ab (FG München, Außensenate Augsburg, Urteil vom 27.9.2018, 10 K 2927/17, Haufe-Index 12416705, EFG 2019, 73). Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das FG muss insbesondere klären, ob die zugrunde liegenden Steuerschulden des Vaters im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Einspruchsentscheidung noch vollstreckbar waren oder ob diesbezüglich bereits Zahlungsverjährung eingetreten war.
Hinweis
1. Das FA kann durch Duldungsbescheid in Anspruch nehmen, wer nach dem AnfG verpflichtet ist, eine Vollstreckung zu dulden. Der BFH hat im Streitfall nochmals bekräftigt, dass das FA kein Wahlrecht hat, ob es einen Duldungsbescheid (§ 191 AO) erlässt oder eine auf das AnfG gestützte Klage zum Zivilgericht (§ 13 AnfG) erhebt (BFH, Urteil vom 30.6.2020, VII R 63/18, BStBl II 2021, 191, Haufe-Index 14243404).
2. Der Streitfall war ein Sonderfall, weil der ersten Grundstücksübertragung vom Steuerschuldner auf dessen Sohn S eine weitere Übertragung auf die Schwester des Steuerschuldners gefolgt war und sich die Gläubigeranfechtung des FA gegen diese Zweiterwerberin als Rechtsnachfolgerin richtete.
3. Allerdings waren auch allgemeine Fragen zu klären: u.a. Zahlungsverjährung, objektive Gläubigerbenachteiligung und unentgeltlicher Erwerb.
Unter Fortführung seines Urteils vom 30.6.2020 (BFH, Urteil vom 30.6.2020, VII R 63/18, BStBl II 2021, 191, Haufe-Index 14243404, hat der BFH deutlich gemacht, dass die Unterbrechung der Zahlungsverjährung gegenüber dem Steuerschuldner durch den Erlass eines Duldungsbescheids nicht bis zu einer bestandkräftigen Entscheidung über diesen Duldungsbescheid fortwirkt, sondern mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Duldungsbescheid erlassen wurde, eine neue Zahlungsverjährungsfrist beginnt.
Die Weggabe wertloser Gegenstände kann die Gläubiger nicht benachteiligen. Um dies festzustellen, muss ggf. ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Dabei ist zu beachten, dass es auf das voraussichtliche Zwangsversteigerungsergebnis und nicht auf den Verkehrswert bei einem freihändigen Verkauf ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 13.9.2018, IX ZR 190/17, DStR 2018, 11, und Urteil vom 20.10.2005, IX ZR 276/02, DB 2006, 501).
Schließlich ist bei der Feststellung der Unentgeltlichkeit nach § 4 Abs. 1 AnfG ein vorbehaltener Nießbrauch keine Gegenleistung; Gegenstand der Schenkung ist vielmehr das mit dem Nießbrauch belastete Grundstück.
4. Der Duldungsbescheid war im Streitfall gegenüber dem Ersterwerber S innerhalb der in § 4 Abs. 1 AnfG genannten Frist von vier Jahren nach der anfechtbaren Übertragung ergangen. Das genügt, um diese Frist gegenüber allen Rechtsnachfolger...