Leitsatz
1. Dass eine GbR nach der bis 2001 geltenden Rechtsprechung zivilrechtlich nicht Kommanditistin einer KG sein und auch nicht als solche in das Handelsregister eingetragen werden konnte, steht der Annahme ihrer Mitunternehmerstellung nicht zwingend entgegen.
2. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte abfärben, verfassungsgemäß (Bestätigung des Urteils des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649).
3. Der in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete zeitliche Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007, der in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Bestätigung des BFH-Urteils vom 19.07.2018 ‐ IV R 39/10, BFHE 262, 149, BStBl II 2019, 77).
4. § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (Bestätigung des BFH-Urteils vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649).
Normenkette
§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2, § 52 Abs. 32a EStG, § 2 Abs. 1 GewStG, § 41 AO
Sachverhalt
An der 1994 gegründeten Klägerin, einer GbR, waren drei Gesellschafter beteiligt. Die Klägerin vermietete einen Großteil ihres Grundbesitzes an die Z-KG; zwischen der Klägerin und der Z-KG bestand seit 2006 eine Betriebsaufspaltung. Kommanditistin der 1995 gegründeten A-KG war nach ihrem Gesellschaftsvertrag (u.a.) die Klägerin (GbR), im Handelsregister waren allerdings im Hinblick darauf, dass eine GbR (nach damaliger Rechtsansicht) nicht Kommanditistin sein könne, nicht die Klägerin, sondern deren Gesellschafter als Kommanditisten eingetragen. Sowohl die Klägerin als auch die A-KG behandelten durchweg die Klägerin als Kommanditistin der A-KG. In den für die A-KG u.a. für die Jahre ab 2003 ergangenen Gewinnfeststellungsbescheiden stellte das FA jeweils einen auf die Klägerin als Kommanditistin entfallenden Anteil der Einkünfte aus Gewerbebetrieb fest. In den Gewinnfeststellungsbescheiden für die Klägerin für die Jahre 2003 bis 2006 stellte das FA die Einkünfte der Klägerin als solche aus Gewerbebetrieb fest und erließ zudem GewSt-Messbescheide. Den Antrag der Klägerin, die für die A-KG ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide 2005 bis 2007 dahin zu ändern, dass nicht sie, sondern ihre Gesellschafter als Mitunternehmer erfasst werden, lehnte das FA ab. Die Klägerin erhob sowohl wegen der sie selbst betreffenden Gewinnfeststellungs- und GewSt-Messbescheide 2003 bis 2006 als auch wegen der die A-KG betreffenden Gewinnfeststellungsbescheide 2005 bis 2007 Klage, der das FG (nach Verbindung der Klagen) teilweise stattgab. Es hob die GewSt-Messbescheide für die Jahre 2003 bis 2005 auf und wies die Klage im Übrigen als unbegründet zurück (FG Köln, Urteil vom 26.6.2020, 4 K 3437/11, Haufe-Index 14441108, EFG 2021, 857).
Entscheidung
Der BFH wies sowohl die Revision des FA als auch die der Klägerin aus den sich aus den Praxishinweisen ergebenden Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. § 41 Abs. 1 Satz 1 AO erfasst alle Fälle der Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften und damit auch solche, in denen sich die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts aus dem Mangel an Rechtsfähigkeit eines Beteiligten ergibt. Danach ist es für die Annahme der Mitunternehmerstellung einer GbR ohne Belang, dass eine solche sich (nach der bis 2001 geltenden Rechtsansicht) aus der Sicht des Zivilrechts nicht als Kommanditistin an einer KG beteiligen konnte.
2. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte abfärben, verfassungsgemäß.
a) Auch wenn das BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008, 1 BvL 2/04, Haufe-Index 1998894) die in der sog. Bagatellgrenze zum Ausdruck kommende restriktive Auslegung des Gesetzes durch den BFH als ein Argument für die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F. angeführt hat, folgt hieraus nicht, dass für alle im Gesetz genannten "Abfärberegelungen" eine Bagatellgrenze unverzichtbar ist.
b) Die Schaffung nicht im Gesetz vorgesehener Bagatellgrenzen durch die Rechtsprechung kann nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen.
c) Zudem ist eine Bagatellgrenze im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG entbehrlich, weil die Folgen der vom Gesetz gewollten umfassenden steuerlichen Verstrickung des Gesellschaftsvermögens der vermögensverwaltenden Obergesellschaft durch die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG begrenzt werden.
3. Die ...