Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft für den nach § 1 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Dies gilt auch bei mehrstöckigen Beteiligungen (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14.12.2022 ‐ II R 40/20, BFHE 279, 290, BStBl II 2023, 1012, Rz 30).
2. Eine steuerbare Vereinigung von Anteilen an einer grundbesitzenden Gesellschaft in einer niederländischen Stiftung (stichting) ist nicht nach § 5 Abs. 2 GrEStG steuerbefreit, wenn die Stiftung bei einem Rechtstypenvergleich nicht mit einer Gesamthandsgemeinschaft gleichgestellt werden kann.
Normenkette
§ 1 Abs. 3 Nrn. 1 und 2, § 5 Abs. 2 GrEStG
Sachverhalt
Die Klägerin war eine Stiftung nach niederländischem Recht, die ihren Sitz in den Niederlanden hatte. Alleiniger Vorstand der Klägerin war B. Stiftungszweck war die Verwaltung der Anteile an der Holding B.V., einer Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, sowie die Herausgabe von Zertifikaten zu diesen Anteilen.
Am 24.12.2009 beschloss die Gesellschafterversammlung der Holding B.V. eine Kapitalerhöhung durch Ausgabe von 298.064 Anteilen im Nennwert von 100 EUR an den B. Als Gegenleistung für die Übernahme dieser Anteile übertrug B 100 % seiner Anteile an der A‐N.V., einer Kapitalgesellschaft belgischen Rechts, auf die Holding B.V. Die A‐N.V. war Alleingesellschafterin der C‐GmbH, die mit notariellem Vertrag vom 20.5.2009 ein inländisches Grundstück erworben hatte.
Ebenfalls am 24.12.2009 brachte B seine am gleichen Tag im Rahmen der Kapitalerhöhung übernommenen Anteile an der Holding B.V. in die Klägerin ein. Hierfür erhielt er von der Klägerin entsprechende Zertifikate.
Das FA setzte aufgrund der Übertragung der Anteile des B an der Holding B.V. auf die Klägerin mit Vertrag vom 24.12.2009 GrESt gegenüber der Klägerin fest, da diese ab diesem Zeitpunkt mittelbar an der C‐GmbH beteiligt war, die Eigentümerin eins inländischen Grundstücks war. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das FG (FG Münster, Urteil vom 10.3.2022, 8 K 1945/19 GrE, Haufe-Index 15134682) ab.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet abgewiesen.
Hinweis
1. Die Vereinigung der Anteile an der Holding B.V. in der Hand der Klägerin aufgrund des Vertrags vom 24.12.2009 unterlag der GrESt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG. Selbst wenn nach niederländischem Recht dem Übergang der Anteile an der Holding B.V. auf die Klägerin ein anspruchsbegründendes Rechtsgeschäft nicht vorausgegangen sein sollte, wurde die Anteilsvereinigung durch die Einbringung der Anteile des B an der Holding B.V. in die Klägerin am 24.12.2009 vollzogen.
2. Zum Vermögen der Holding B.V. gehörte im Zeitpunkt der Vereinigung von mindestens 95 % ihrer Anteile in der Hand der Klägerin mit Vertrag vom 24.12.2009 mittelbar 100 % an der C-GmbH, die Eigentümerin eines inländischen Grundstücks war, sodass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG erfüllt war. Entscheidend ist, dass die C‐GmbH zu dem Zeitpunkt (24.12.2009), als ihre Anteile mittelbar über die Anteile der A‐N.V. in die Holding B.V. eingebracht wurden, bereits (seit dem 20.5.2009) grundbesitzend war.
3. Keine Rolle spielte für die Besteuerung der Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG, dass sich der Sitz der Klägerin als Erwerberin der Anteile an der Holding B.V. im Ausland befand. Gegenstand der Steuer ist der unmittelbare oder mittelbare Erwerb aller Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft in einer Hand und die damit verbundene Fiktion des Erwerbs eines Grundstücks im Inland. Danach kommt es nur auf die Lage des von dem fiktiven Grunderwerb erfassten Grundstücks im Inland an.
4. Der BFH konnte offenlassen, ob eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG auch dann vorliegt, wenn die Beteiligungsgrenze von 95 % nach einem Absinken der Beteiligung erneut überschritten wird. Die Voraussetzungen des Besteuerungstatbestands waren erstmals bei der Anteilsvereinigung mit Vertrag vom 24.12.2009 erfüllt, sodass keine erneute Überschreitung der Beteiligungsgrenze von 95 % vorlag.
5. Der Erwerb war nicht nach § 5 Abs. 2 GrEStG von der GrESt befreit. Geht ein Grundstück von einem Alleineigentümer auf eine Gesamthand über, so wird die Steuer gemäß § 5 Abs. 2 GrEStG i. H. d. Anteils nicht erhoben, zu dem der Veräußerer am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Die Vorschrift gilt auch bei "fiktiven" Grundstückserwerben i. S. d. § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG und ist danach auch im Falle einer Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG anwendbar. Ausländische Gesellschaften können ebenfalls nach § 5 Abs. 2 GrEStG begünstigt sein, sofern deren Struktur mit einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft vergleichbar ist. Dies war vorliegend nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstanden Feststellungen des FG nicht...