Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerberatungssachen (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO)
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid vom 06.03.1995, mit dem die Steuerberaterprüfung 1994 als nicht bestanden gewertet worden ist, wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Beschluß:
Der Streitwert wird auf DM 10.000,– festgelegt.
Gründe
An den Steuerberaterprüfungen der Jahre 1992 und 1993 nahm die Klägerin ohne Erfolg teil. Nachdem die Gesamtnote der schriftlichen Prüfung gemäß § 25 Abs. 2 Durchführungsverordnung zum Steuerberatungsgesetz (DVStB) die Zahl 4,5 nicht übersteigen darf, war die Klägerin jeweils von der Teilnahme an der mündlichen Prüfung ausgeschlossen.
Im Rahmen der Steuerberaterprüfung 1994 wurden die Aufsichtsarbeiten der Klägerin mit den Einzelnoten 4,5 (2 ×) und 4 benotet. Daraufhin wurde sie zur mündlichen Prüfung am 06.03.1995 zugelassen. Die Klägerin hielt einen Kurzvortrag von weniger als fünf Minuten Dauer, den die Prüfungskommission mit 5,0 bewertete.
Im weiteren Verlauf der mündlichen Prüfung erzielte die Klägerin die folgenden Ergebnisse:
Prüfer 1 |
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5,0 |
Prüfer 2 |
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4,5 |
Prüfer 3 |
Bürgerliches Recht |
4,0 |
Prüfer 4 |
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3,5 |
Prüfer 5 |
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3,5 |
Prüfer 6 |
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3,5. |
Hieraus ergab sich für die mündliche Prüfung eine Gesamtnote von 4,14. Nachdem die aus den beiden Gesamtnoten gebildete Endnote von 4,23 den noch zulässigen Wert von 4,15 überstieg, hatte die Klägerin nach Auffassung des Prüfungsausschusses als einzige Prüfungsteilnehmerin der betreffenden Gruppe nicht bestanden. Der Vorsitzende der Prüfungskommission gab dieses Ergebnis der Klägerin im Anschluß an die mündliche Prüfung ohne Begründung bekannt.
Ihre mit Schreiben vom 22.03.1995 erhobene Klage gegen die ablehnende Prüfungsentscheidung begründet die Klägerin wie folgt: Durch den Ablauf der mündlichen Prüfung sei die Chancengleichheit der Bewerber nicht gewahrt worden. Tatsächlich sei sie, die Klägerin, an einem optimalen Kurzvortrag gehindert gewesen. Ursache hierfür sei u. a. der sehr kleine Vorbereitungsraum gewesen.
Im Rahmen der einzelnen Prüfungsabschnitte sei ebenfalls mehrfach gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen worden. So sei sie, die Klägerin, nach einer falschen Antwort Nichtbeantwortung von Fragen im Rahmen des Prüfungsabschnittes „Bürgerliches Recht” nicht mehr in die weitere Prüfung einbezogen worden. Auch habe der Prüfungsausschuß ein Handheben zur Gewährleistung der Chancengleichheit nicht gewünscht. Im übrigen hätte der Ausschuß bei gefährdeten Bewerbern die Prüfungszeit in angemessenem und zumutbarem Umfang ausdehnen sollen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 06.03.1995, mit dem die Prüfung als nicht bestanden gewertet worden ist, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Auffassung des Beklagten erweist sich der Prüfungsablauf als ordnungsgemäß. Das schlechte Ergebnis der Klägerin beruhe maßgeblich auf deren mangelhaften Kenntnissen insbesondere im Bereich des Verfahrens- und des Einkommensteuerrechts sowie des Rechts der Verbrauch- und Verkehrsteuern.
Die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses ohne Begründung beinhalte keinen Fehler. § 28 Abs. 1 DVStB verlange nicht eine Begründung für die Bewertung der Leistungen in der mündlichen Prüfung. Hieran ändere auch der Umstand nichts, daß die nicht protokollierten Fragen und Antworten im Rahmen des Prüfungsverlaufs durch die Mitglieder des Prüfungsausschusses nunmehr kaum noch nachvollziehbar seien; der große zeitliche Abstand zur Prüfung und die Vielzahl der zwischenzeitlich durchgeführten Prüfungen ließen jedenfalls eine konkrete Erinnerung an die Klägerin und ihre Prüfungsleistungen entfallen.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 06.03.1995 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin ist berechtigt, erneut an einer mündlichen Prüfung teilzunehmen.
Die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung beruht auf dem Umstand, daß das Prüfungsverfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet. Indem der Prüfungsausschuß seine Bewertung der von der Klägerin erbrachten mündlichen Prüfungsleistungen in keiner Weise begründet hat, ist ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG zu bejahen.
Vorschriften, die für die Aufnahme des Berufs den Nachweis erworbener Fähigkeiten in Form einer Prüfung verlangen, müssen – da sie in die Freiheit der Berufswahl eingreifen – den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügen. Dabei beansprucht das Grundrecht der Berufsfreiheit auch Geltung für die Durchführung des Prüfungsverfahrens. Hiernach ist der angemessene Grundrechtsschutz durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken (BVerfG, Entscheidungen vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 u. a., NJW 1991, 2005, und 1 BvR 1529/84 u. a., NJW 1991, 2009 m.N.). Gleichermaßen verlangt der Bundesfinanzhof zu Recht (Urteil vom 27.07.1993 – VII R 11/93, BStBl. II 1994, 259, 262; Beschluß vom 10.08.1993 – VII B 68/93, BStBl. II ...