Tz. 59
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 90 Abs. 1 BVerfGG ist jedermann berechtigt, gegen Grundrechtsverletzungen oder Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103, 104 GG durch Akte der öffentlichen Gewalt nach Erschöpfung des vorgesehenen Rechtsweges binnen Monatsfrist Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zu erheben. Akte der öffentlichen Gewalt sind solche der Legislative (Gesetze), Exekutive (Verwaltungsakte und sonstige behördliche Akte) sowie die Judikative (Gerichtsentscheidungen). Der Beschwerdeführer muss substantiiert darlegen, dass durch den angegriffenen Akt möglicherweise ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht verletzt sein kann. Bei einer Gesetzesverfassungsbeschwerde muss er darlegen, dass er durch das Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist. Die Begründung jeder Verfassungsbeschwerde muss unter Angabe der erforderlichen Beweismittel erfolgen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer verletzt fühlt, zu bezeichnen (§ 92 BVerfGG). Werden Verfahrensrechte oder verfahrensrechtliche Gehalte materieller Grundrecht gerügt, muss der Beschwerdeführer substantiiert darlegen, dass die angegriffenen Gerichtsentscheidungen auf der behaupteten Grundrechtsverletzung beruht oder zumindest beruhen kann (st. Rspr. des BVerfG; z. B. BVerfG v. 23.06.1993, 1 BvR 133/89, BVerfGE 89, 48; Magen in Umbach/Clemens/Dollinger, § 92 BVerfGG, Rz. 18 mit zahlreichen Nachweisen der BVerfG-Rspr.). Außerdem ist z. B. bei Urteilsverfassungsbeschwerden die Vorlage der angegriffenen Entscheidung(en) Zulässigkeitsvoraussetzung einer hinreichend substantiierten Verfassungsbeschwerde, wobei es auch genügt, wenn der wesentliche Inhalt der angegriffenen Entscheidungen in einer der Beurteilung zugänglichen Weise wiedergegeben wird (vgl. BVerfG v. 12.07.2000, 1 BvR 2260/97, NJW 2000, 3413).
Tz. 59a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden, wenn der Rechtsweg zu den Fachgerichten zulässig ist. Daraus folgt nicht nur, dass der Rechtsweg formell erschöpft wird und der Beschwerdeführer von allen gesetzlich zugelassenen Rechtsbehelfen rechtzeitig Gebrauch gemacht hat (z. B. BVerfG v. 30.06.1976, 2 BvR 212/76, BVerfGE 42, 252). Darüber hinaus folgt aus § 90 Abs. 2 BVerfGG der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. Sperlich in Umbach/Clemens/Dollinger, § 90 BVerfGG, Rz. 127 ff.). Dieser verlangt, dass der Beschwerdeführer bereits im Verfahren vor den Fachgerichten die behauptete Grundrechtsverletzung mit allen dort statthaften Rechtsbehelfen (unter Einhaltung der dafür bestehenden Formerfordernisse) geltend macht, wenn er sich im Falle der Erfolglosigkeit den Weg der Verfassungsbeschwerde offenhalten will (vgl. BVerfG v. 17.10.1967, 1 BvR 760/64, BVerfGE 22, 287). Daher genügt nicht das bloß formelle Durchlaufen des Rechtswegs, vielmehr muss der Betroffene die Zulässigkeitsvoraussetzung der gebotenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel beachten (materielle Subsidiarität; z. B. Werth, AO-StB 2007, 24). Der Rechtsweg ist daher z. B. nicht erschöpft und die Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn gegen einen Gerichtsbescheid des BFH nicht Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde (BVerfG v. 30.10.1969, 1 BvR 547/69, HFR 1970, 41). Dies gilt grds. auch, wenn ein Rechtsmittel des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen wurde. Einen Rechtsweg i. S. von § 90 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG eröffnet auch § 69 Abs. 6 FGO, wonach die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom Gericht jederzeit geändert oder aufgehoben werden kann (BVerfG v. 11.10.1978, 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325; v. 28. 3. 85, 1 BvR 245/85, HFR 1986, 597). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt auch die Erhebung einer Anhörungsrüge (§ 133a FGO), wenn der Beschwerdeführer geltend macht, durch die Zurückweisung eines Rechtsmittels – z. B. der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 FGO – in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden zu sein. Nur ausnahmsweise kann die Verfassungsbeschwerde auch ohne Rechtswegerschöpfung erhoben werden, wenn dem Beschwerdeführer andernfalls ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde (BVerfG v. 18.12.1985, 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305).
Tz. 59b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Verfassungsbeschwerde ist binnen Monatsfrist einzulegen und zu begründen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Richtet sich diese Beschwerde gegen ein Gesetz oder einen Hoheitsakt, gegen den kein Rechtsweg gegeben ist, so gilt eine Frist von einem Jahr nach Inkrafttreten (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Diese Fristen sind nur gewahrt, wenn der Beschwerdeschriftsatz einschließlich aller Anlagen, insbes. der angegriffenen Entscheidung vollständig vor Fristablauf eingegangen ist. Zu den weiteren Einzelheiten z. B. Brandt, AO-St...