Tz. 21
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Schätzungsanlass besteht nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO, wenn der Stpfl. die nach den Steuergesetzen zu führenden Bücher und Aufzeichnungen nicht vorlegen kann. Seine Pflicht, Bücher zu führen und Aufzeichnungen zu machen, ergibt sich aus §§ 140ff. AO und teilweise aus Vorschriften in Einzelsteuergesetzen wie z. B. § 22 UStG für Form und Umfang der umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten. Auch wenn keine Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht besteht, kommt eine Schätzung in Betracht, wenn der Stpfl. keine vollständigen Angaben i. S. der §§ 90 Abs. 1 Satz 2, 150 Abs. 2 AO machen kann (BFH v. 15.04.1999, IV R 68/98, BStBl II 1999, 481). Aus welchem Grunde der Stpfl. keine Bücher vorlegen kann, ist unbeachtlich (BFH v. 09.03.1994, VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 37), auf ein Verschulden kommt es nicht an. Eine Schätzung ist daher auch geboten, wenn die Bücher durch Brand oder Wasser vernichtet worden oder unverschuldet verloren gegangen (BFH v. 26.10.2011, X B 44/11, BFH/NV 2012, 168 m. w. N.) oder wenn Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden sind (BFH v. 26.02.2010, VIII B 17/08, BFH/NV 2010, 1083). Nicht erforderlich ist, dass das FA zunächst versucht hat, die Vorlage mit Zwangsmitteln durchzusetzen.
Tz. 22
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Stpfl. kann sich nur dann auf die Unmöglichkeit der Vorlage berufen, wenn dies in finanzbehördlichen oder -gerichtlichen Maßnahmen begründet liegt (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 37 m. w. N.). In der Unmöglichkeit, zeitgerechte Aufzeichnungen vorzunehmen und eine vollständige und zutreffende Buchführung aufzustellen, weil die dafür benötigten Unterlagen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden sind, liegt kein Hinderungsgrund für die Schätzung, weil die Ursachen vom Stpfl. verursacht sind (BFH v. 26.02.2010, VIII B 17/08, BFH/NV 2010, 1083). Sie kann ggf. unter Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 37). In derartigen Fällen kann dem Stpfl. Gelegenheit gegeben werden, sich Kopien für die Vorlage beim FA zu verschaffen, wenn es sich nur um eine geringe Zahl vorzulegender Unterlagen handelt.
Tz. 23
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zu Recht stellt Seer (in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 37) dem Nichtkönnen das Nichtwollen gleich, weil auch hier der Stpfl. Ursache dafür gibt, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Es wäre im Ergebnis unbefriedigend, wenn die objektive Unmöglichkeit der Vorlage den Schätzungsanlass gibt, nicht aber das – subjektive – Nichtwollen, das meist eine viel stärkere Pflichtverletzung darstellt.