Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO beschränkt den Einspruch gegen Verwaltungsakte der Finanzbehörden zeitlich. Sie (Siegers in HHSp § 110 AO Rz. 4, keine Ausschlussfrist, wenn Wiedereinsetzung möglich) kann von der Finanzbehörde weder gesetzt noch verlängert werden (§ 109 Abs. 1 AO). Zweck dieser einschränkenden Regelung ist die Schaffung von Rechtssicherheit (BFH v. 09.11.1990, III R 103/88, BStBl II 1991, 168). Die Einspruchsfrist des § 355 AO gilt nicht für Verwaltungsakte mit fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung und die Anfechtung nichtiger Verwaltungsakte, die unwirksam und daher ohne fristauslösende Wirkung sind (§ 124 Abs. 3 AO). Sie gilt neben schriftlichen Verwaltungsakten auch ausnahmslos für Verwaltungsakte, die mündlich oder durch schlüssiges Verhalten ergangen sind (FG Köln v. 29.10.1990, 1 K 1275/90, StED 1991, 153).
I. Beginn der Frist
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs beginnt mit der Bekanntgabe (§§ 122 Abs. 1, 124 Abs. 1 AO) des Verwaltungsaktes. Die Bekanntgabe muss wirksam, insbes. an den richtigen Adressaten erfolgt sein. Unwirksam bekanntgegebene Verwaltungsakte lösen nicht den Lauf einer Rechtsbehelfsfrist aus und können zur Beseitigung des Rechtsscheins unbefristet mit dem Einspruch angefochten werden (BFH v. 17.07.1986, V R 96/85, BStBl II 1986, 834).
Tz. 3
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Die Bekanntgabe eines Steuerbescheides nach Ablauf der Festsetzungsverjährung ist zwar rechtswidrig, aber nicht unwirksam und kann daher nur innerhalb der Monatsfrist angefochten werden (FG Nbg v. 11.05.1994, I 206/90, EFG 1997, 564). Die Bekanntgabe eines Zusammenveranlagungsbescheides an Eheleute zu verschiedenen Zeitpunkten löst den Lauf der Einspruchsfrist dementsprechend unterschiedlich aus.
Tz. 4
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Vor Bekanntgabe ist ein Verwaltungsakt nicht anfechtbar. Der Einspruch ist unzulässig (BFH v. 08.04.1983, VI R 209/79, BStBl II 1983, 551; weiter Seer in Tipke/Kruse, § 355 AO Rz. 9, der einen Einspruch zumindest dann zulassen will, wenn dem Steuerpflichtigen der Inhalt des Verwaltungsaktes bekannt ist; so auch: FG Ddorf v. 29.11.1972, VIII 246/71 G, EFG 1973, 119). Dies gilt nicht für die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1, 2 AO. Ist der Verwaltungsakt dem Adressaten bereits vor Ablauf der Drei-Tages-Frist zugegangen, kann er bereits zulässig Einspruch einlegen. Auf die wirksame Bekanntgabe kommt es dann nicht an (Siegers in HHSp, § 355 AO Rz. 57). Auch für einen Feststellungsbeteiligten, gegenüber dem ein Feststellungsbescheid hätte ergehen müssen (§ 352 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO), kann es auf die wirksame Bekanntgabe, die gerade nicht erfolgt ist, nicht ankommen. Ist der Feststellungsbescheid den übrigen Beteiligten bekanntgegeben worden, wirkt er auch gegen ihn. Der Einspruch ist dann zulässig.
Tz. 5
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Der Einspruch vor Bekanntgabe ist jedenfalls zulässig, wenn der Verwaltungsakt wegen fehlerhafter Bekanntgabe zwar nicht wirksam ist, aber den Rechtsschein eines wirksamen Verwaltungsaktes erzeugt (Rz. 2).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
II. Dauer der Frist
Tz. 7
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Die reguläre Rechtsbehelfsfrist für den Einspruch gegen einen Verwaltungsakt oder gegen eine Steueranmeldung beträgt 1 Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Erlässt das Finanzamt jedoch vor Ablauf der Einspruchsfrist eine (Teil-)Einspruchsentscheidung, ist ein Einspruch gegen die Steuerfestsetzung nicht statthaft (BFH v. 18.09.2014, VI R 80/13, BStBl II 2015, 115).
III. Fristberechnung und Fristwahrung
Tz. 8
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Für die Berechnung der Einspruchsfrist gelten gem. § 365 Abs. 1 AO die allgemeinen Vorschriften über die Berechnung von Fristen (§ 108 Abs. 1 AO), die ihrerseits auf die Berechnungsvorschriften des BGB verweisen (§§ 187ff. BGB).
Tz. 9
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Die Frist ist gewahrt, wenn der Einspruch spätestens am letzten Tag der Frist bei der zuständigen Finanzbehörde eingeht. Dabei erbringt der Eingangsstempel der Finanzbehörde in der Regel den Beweis für Ort und Zeitpunkt des Eingangs, soweit die behördlichen Verfahrensabläufe sichergestellt sind. Ist der Einspruch danach nicht rechtzeitig zugegangen, kann der Einspruchsführer, der die Feststellungs- oder Beweislast trägt (BFH v. 19.05.1999, VI B 342/98, BFH/NV 1999, 585), den Gegenbeweis führen oder anhand des Poststempels den Nachweis erbringen, dass die Verspätung durch ungewöhnlich lange Postlaufzeiten und damit außerhalb seines Verschuldens herrührt. Letzteres würde einen Grund für eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO darstellen, welche aber einen gesonderten Antrag erfordert und nicht automatisch fristwahrend wirkt.
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Rechtsbehelf kann bis 24 Uhr des letzten Tages eingehen. Hat die Behörde keinen Nachtbriefkasten, hat sie im behördlichen Verfahrensablauf sicherzustellen, dass die nach Dienstende eines Tages eingeworfene aber erst am nächsten Tag geöffnete Post den Eingangsstempel des Vortages erhä...