Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Unter den Anwendungsbereich des § 127 AO fallen alle Verwaltungsakte im Sinne des § 118 AO, d. h. sonstige Verwaltungsakte, Steuerbescheide und Bescheide über Einfuhr- und Ausfuhrabgaben. § 127 AO findet auch in berufsrechtlichen Streitigkeiten nach dem StBerG Anwendung (BFH v. 17.08.2004, VII B 14/04, n. v.). Der Anwendungsbereich des § 127 AO erstreckt sich auch auf das Einspruchs- und gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (FG München v. 04.04.2007, 5 K 4455/06, EFG 2007, 1397). § 127 AO gilt nicht für Ermessensentscheidungen (Rz. 8).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Voraussetzung ist, dass der Verwaltungsakt wirksam bekannt gegeben wurde (s. § 124 Abs. 1 AO) und nicht nach § 125 AO nichtig ist. § 127 AO findet nur solange Anwendung, wie eine Heilung gem. § 126 AO noch nicht eingetreten ist. Die Vorschrift betrifft nur solche Verwaltungsakte, die unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche (nicht die sachliche, s. BFH v. 23.04.1986, I R 178/82, BStBl II 1986, 880; BFH v. 21.04.1993, X R 112/91, BStBl II 1993, 649, 653) Zuständigkeit zustande gekommen sind. § 127 AO kann nicht dadurch umgangen werden, dass wegen Verfahrensfehlern, die nicht zur Aufhebung des Bescheides führen, eine Feststellungsklage erhoben wird (BFH v. 24.08.2017, V R 11/17, BFH/NV 2018, 14). Ist ein Verwaltungsakt inhaltlich fehlerhaft, d. h. ist er materiell rechtswidrig oder liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (BFH v. 15.05.2013, VIII R 18/10, BStBl II 2013, 669), kann § 127 AO seine Aufhebung nicht verhindern.
Tz. 3a
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Im Übrigen kommen als Anwendungsfälle des § 127 AO insbes. die in §§ 125 Abs. 3 AO und 126 Abs. 1 AO Nr. 2 bis 5 aufgeführten Verstöße in Betracht. § 127 AO findet keine Anwendung in dem Fall des unterlassenen Antrags nach § 126 Abs. 1 Nr. 1 AO, da ohne einen Antrag eine andere Entscheidung in der Sache ergehen muss. Die Aufhebung eines Gewerbesteuermessbescheides kann nach § 127 AO regelmäßig nicht allein deswegen beansprucht werden, weil er von einem örtlich unzuständigen FA erlassen worden ist (BFH v. 19.11.2003, I R 88/02, BStBl II 2004, 751; AEAO zu § 127, Nr. 3). Dagegen findet § 127 AO keine Anwendung im Fall des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO, wenn ein örtlich unzuständiges Finanzamt den Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist zur Post gegeben hat (von Wedelstädt in Gosch, § 127 AO Rz. 12.2). Wird ein Grundbesitzwert auf einen Zeitpunkt festgestellt, zu dem er für die Besteuerung nicht erforderlich ist, ist der Feststellungsbescheid materiellrechtlich fehlerhaft und steht dem Aufhebungsanspruch des Steuerpflichtigen die Vorschrift des § 127 AO nicht entgegen (BFH v. 27.01.2006, II B 6/05, BFH/NV 2006, 908). Da das Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit (§ 18 AO) und für die Steuern vom Einkommen (§ 19 AO) gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO tatbestandsmäßige Voraussetzung für den Erlass eines gesonderten Gewinnfeststellungsbescheids ist, greift § 127 AO nicht, da auch die sachliche Zuständigkeit betroffen ist (BFH v. 15.04.1986, VIII R 325/84, BStBl II 1987, 195; BFH v. 25.08.2015, VIII R 53/13, juris; AEAO zu § 127, Nr. 3). § 127 AO ist dagegen anwendbar bei einer Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO (BFH v. 21.06.2007, IX B 5/07, BFH/NV 2007, 1628). Auch gilt § 127 AO nicht für Steuerverwaltungsakte, die von einer sachlich oder verbandsmäßig unzuständigen Behörde erlassen wurden, da dann regelmäßig Nichtigkeit vorliegt (BFH v. 21.04.1993, X R 112/91, BStBl II 1993, 649; s. § 125 AO Rz. 6).
Tz. 4
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Sofern der Verwaltungsakt unter Verstoß gegen ein Verwertungsverbot ergangen ist, liegt zwar (auch) eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vor. Da aber dem Verwertungsverbot stets Rechnung zu tragen ist, hätte in derartigen Fällen eine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden können, mit der Folge, dass § 127 AO nicht eingreift (BFH v. 24.08.1998, III S 3/98, BFH/NV 1999, 436 ff.; im Ergebnis ebenso Seer in Tipke/Kruse, § 127 AO Rz. 7). Zur Verletzung formeller Vorschriften in diesem Sinne gehören auch Vorschriften über die Form (s. § 119 AO). Dazu gehören auch Vorschriften zur Begründung der Steuerverwaltungsakte (§ 121 AO). Ein Verstoß gegen Formvorschriften führt zur Nichtigkeit des Steuerverwaltungsakts, wenn die Formvorschrift konstitutiv ist (s. § 125 AO Rz. 5). Werden Steuerverwaltungsakte unter Verstoß gegen § 119 Abs. 3 AO nicht unterschrieben oder enthalten sie keine Namenswiedergabe, so ist § 127 AO anwendbar (s. § 119 AO Rz. 8; s. FG Ddorf v. 02.09.1998, 13 K 6793/93, EFG 1998, 1670).
Tz. 4a
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Um einen Verfahrensfehler i. S. des § 127 AO handelt es sich auch bei der Unterlassung der Hinzuziehung zum Verfahren sowie der Mitwirkung von ausgeschlossenen oder befangenen Amtsträgern (§§ 82–84 AO) am Zustandekommen des Verwaltungsakts. Dagegen ist § 127 AO nicht anwendbar auf die Verfahrensvorschrifte...