Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift findet in allen Fällen der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellten Bescheiden (s. Vor §§ 172–177 AO Rz. 3 ff.) Anwendung, gleichgültig, ob die Aufhebung oder Änderung durch konkrete, in den §§ 172 bis 177 AO aufgeführte Voraussetzungen oder allgemein dadurch gerechtfertigt ist, dass der Bescheid gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht (so auch BFH v. 27.03.1998, X B 175/97, BFH/NV 1998, 1346; BFH v. 05.09.2000, IX R 33/97, BStBl II 2000, 676; AEAO zu § 176, Nr. 1 und Nr. 2; Seer, GmbHR 2002, 873) oder gem. § 165 AO vorläufig ist. § 176 AO gilt auch für Steueranmeldungen (§ 168 AO, § 176 Abs. 1 Satz 2 AO; BFH v. 02.11.1989, V R 56/84, BStBl II 1990, 253; BFH v. 17.12.2015, V R 45/14, BStBl II 2017, 658; s. Rz. 21).
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 176 AO findet nur Anwendung zugunsten des Stpfl., nicht auch zugunsten des FA (s. Rz. 3). Eine Aufhebung oder Änderung wirkt sich zuungunsten des Stpfl. aus, wenn Folge der Nichtigkeit, Verfassungswidrigkeit oder Änderung der Rspr. eine betragsmäßig höhere Steuerfestsetzung oder eine niedrigere Steuervergütung oder Erstattung ist, wobei jede Steuerart und jeder Steuerabschnitt getrennt zu betrachten ist (Koenig in Koenig, § 176 AO Rz. 10).
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für unionsrechtlich geregelte Abgaben wird die Vorschrift durch EU-Recht verdrängt (von Groll in HHSp, § 176 AO Rz. 55; auch s. § 1 AO Rz. 16). Die Tatbestände des Art. 119 UZK dienen dem Schutz des Vertrauens des gutgläubigen Zollschuldners in die Richtigkeit des ursprünglich mitgeteilten Abgabenbetrags und treffen insoweit eine dem § 176 AO vorgehende Regelung (vgl. Deimel in HHSp, Art. 119 UZK Rz. 9). Derselbe Vorrang gilt auch, soweit nationale Vorschriften auf den UZK verweisen.
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch Gerichte müssen im Rahmen des § 176 AO Vertrauensschutz gewähren, wenn ein Änderungsbescheid Verfahrensgegenstand ist (BFH v. 28.05.2002, IX R 86/00, BStBl II 2002, 840). Bis zur Bestandskraft des Änderungsbescheides beurteilt sich seine Rechtmäßigkeit nach den Korrekturbedingungen (BFH v. 28.05.2002, IX R 86/00, BStBl II 2002, 840). Bei dem erstmaligen Erlass von Steuerbescheiden ist § 176 AO nicht anwendbar (BFH v. 23.12.2002, XI B 21/02, BFH/NV 2003, 593; BFH v. 16.04.2002, X B 201/01, BFH/NV 2002, 1014). Nach h. M. gilt § 176 AO auch nicht in einem Einspruchsverfahren, wenn sich der Stpfl. eine vom BFH aufgegebene Rspr. erst hier zu eigen macht (BFH v. 02.12.2015, V R 15/14, BStBl II 2017, 553; von Wedelstädt in Gosch, § 176 AO Rz. 13; Loose in Tipke/Kruse, § 176 AO Rz. 3). Ändert sich also die Rspr. während eines Rechtsbehelfsverfahrens zuungunsten eines Stpfl., steht der in § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO formulierte Vertrauensschutz einer Verböserung nicht entgegen (BFH v. 16.04.2002, X B 201/01, BFH/NV 2002, 1014). Der Stpfl. kann sich jedoch wieder auf den Schutz des § 176 AO berufen, wenn er den Einspruch nach angedrohter Verböserung zurücknimmt (Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 176 AO Rz. 5; Loose in Tipke/Kruse, § 176 AO Rz. 3).
Tz. 10
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Grundsätzlich gilt § 176 AO auch bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerfestsetzungen, die eine Dauerwirkung ausüben, indem sie nicht auf einen Veranlagungszeitraum beschränkt sind, sondern für einen längeren Zeitraum oder so lange bestehen, wie der steuerliche Tatbestand verwirklicht ist. Entsprechende Regelungen enthalten Einzelsteuergesetze, wie z. B. § 17 Abs. 2 Nr. 2 GrStG für die Neuveranlagung eines GrSt-Messbetrags, § 22 Abs. 3 Satz 2 BewG für die Fortschreibung der Einheitswerte oder § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG für die Neufestsetzung der KraftSt. Auch ist nach § 70 Abs. 3 Satz 3 EStG die Vertrauensschutznorm des § 176 AO für die Neufestsetzung oder Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld entsprechend anwendbar (hierzu: von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 1862; auch § 11 Abs. 5 Satz 3 EigZulG).
Tz. 11
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Die Aufhebung oder Änderung von Bescheiden nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen konkurriert nicht mit § 176 AO (mit der Ausnahme der durch sie veranlassten Saldierungen i. S. des § 177 AO; auch BFH v. 23.11.1987, GrS 1/86, BStBl II 1988, 180). Dies beruht darauf, dass Tatsachen, die die Finanzbehörde selbst bei ihrer Kenntnis nicht für rechtserheblich gehalten hätte, auch dann nicht unter § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO fallen, wenn wegen Änderungen von Rechtsnormen und ihrer Anwendung i. S. des § 176 AO sich später ihre Rechtserheblichkeit herausstellt. Hat der Stpfl. die bisherige Rspr. bei seinen Steuererklärungen stillschweigend und für das FA nicht erkennbar zugrunde gelegt, gilt der Vertrauensschutz nur, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Finanzbehörde mit der Anwendung der Rechtsprechung einverstanden gewesen wäre. Das Einverständnis ist aber immer dann zu unterstellen, wenn die Entscheidung im BStBl veröffentlicht wurde und keine V...