Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand obliegt dem Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat (§ 56 Abs. 4 FGO), und zwar in der hierfür erforderlichen Besetzung (BFH v. 11.05.2009, VIII R 81/05, BFH/NV 2009, 1447). Die Entscheidung ergeht in Verbindung mit der Entscheidung über die Hauptsache (§ 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 238 Abs. 1 ZPO) und der Form, die für die Entscheidung der Hauptsache gilt (§ 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das bedeutet, dass über den Antrag im Klageverfahren stets durch Urteil (ggf. durch Zwischenurteil [§ 97 FGO] bei Stattgabe) zu entscheiden ist. Ist der Antrag unzulässig oder unbegründet, so ist etwa eine verfristete Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen, ohne dass es im Tenor (wohl aber in den Entscheidungsgründen) eines ausdrücklichen Ausspruchs über die Wiedereinsetzung bedürfte (Greger in Zöller, § 238 ZPO Rz. 2). Der BFH entscheidet in Beschwerdesachen durch Beschluss, in Revisionssachen bei Stattgabe durch Urteil, Zwischenurteil oder Beschluss nach § 126a FGO, bei Ablehnung durch Beschluss, in dem zugleich die Revision als unzulässig zu verwerfen ist (§ 126 Abs. 1 FGO). Zu beachten ist jedoch, dass § 56 FGO ausschließlich Fristen im Finanzprozess betrifft. Dem FG ist es daher verwehrt, Wiedereinsetzung in eine Frist im Verwaltungsverfahren nach § 110 AO zu gewähren. Hat die Behörde einen Einspruch zu Unrecht wegen Verfristung als unzulässig verworfen und zu Unrecht die Wiedereinsetzung (§ 110 AO) versagt, so muss das FG die Einspruchsentscheidung isoliert aufheben (dazu s. § 44 FGO Rz. 7).

 

Tz. 20

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 56 Abs. 5 FGO ist die gewährte Wiedereinsetzung unanfechtbar. Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das FG, und zwar bezüglich der Versäumung von Fristen, die das finanzgerichtliche Verfahren betreffen. Dadurch kommt weder eine isolierte Anfechtung der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag noch eine Überprüfung im Rahmen der gegen das FG-Urteil gerichteten Revision in Betracht (z. B. BFH v. 23.02.1994, IV B 124/93, BFH/NV 1994, 729; BFH v. 14.11.1995, IX R 36/94, BFH/NV 1996, 347). Demgegenüber ist die Anfechtung einer finanzgerichtlichen Entscheidung dahingehend, dass das FA einen Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe, nicht eingeschränkt (z. B. BFH v. 10.09.1986, II R 175/84, BStBl II 1986, 908; auch Stapperfend in Gräber, § 56 FGO Rz. 66).

 

Tz. 21

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags durch das FG ist mit dem gegen die Hauptsachenentscheidung zulässigen Rechtsmittel zusammen mit dieser anzufechten. Dabei kann der BFH die vom FG zu Unrecht versagte Wiedereinsetzung selbst gewähren (BFH v. 06.11.1969, IV R 127/68, BStBl II 1970, 214; BFH v. 11.01.1983, VII R 92/80, BStBl II 1983, 334). Es ist insoweit an Feststellungen der Vorinstanz nicht gebunden und kann eigene Feststellungen treffen und Beweise würdigen. Auch der Ablauf der Jahresfrist gem. § 56 Abs. 5 FGO steht einer positiven Entscheidung nicht entgegen, wenn zu der Zeit, als das FG über eine Wiedereinsetzung ohne Antrag hätte entscheiden können, die Jahresfrist noch nicht abgelaufen war (BFH v. 28.02.1978, VII R 92/74, BStBl II 1978, 390). Hat das FG über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist deshalb nicht entschieden, weil es hierauf nach seiner Auffassung nicht ankam, so ist der BFH, wenn er anderer Auffassung ist, jedenfalls berechtigt, die Sache an das FG zurückzuverweisen, wenn die Wiedereinsetzungsfrist offensichtlich nicht versäumt worden und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Aktenlage nicht ohne Weiteres zu gewähren ist (s. BFH v. 09.02.1983, II R 10/79, BStBl II 1983, 698, wobei offenblieb, ob der BFH in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung berechtigt wäre, über den Wiedereinsetzungsantrag selbst erstmals zu entscheiden). Eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig.

 

Tz. 22

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist der materiellen Rechtskraft fähig, d. h. ein erneuter Antrag ist nur dann zulässig, wenn er auf andere Gründe gestützt wird (BFH v. 09.03.1989, X B 71/88, BFH/NV 1990, 508 m. w. N.). Zu beachten ist § 136 Abs. 3 FGO, wonach Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, dem Antragsteller zur Last fallen, ohne dass es darauf ankommt, wer im Übrigen die Prozesskosten zu tragen hat (s. § 136 FGO Rz. 6).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?


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