Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Treuhandverhältnis im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO liegt vor, wenn ein Vertragsteil (Treugeber) dem anderen Vertragsteil (Treunehmer oder Treuhänder) aus wirtschaftlichen oder sonstigen Zweckmäßigkeitsgründen in Bezug auf ein Wirtschaftsgut nach außen hin eine Rechtsstellung – insbes. das Eigentum an einer Sache oder die Inhaberschaft eines Rechts – einräumt, die der von den Beteiligten verfolgte wirtschaftliche Zweck des Geschäftes nicht erfordert und deren Ausübung demzufolge im Innenverhältnis durch ausdrückliche oder stillschweigende Regelung schuldrechtlich gebunden wird. Ein Treuhandverhältnis kann auch dadurch begründet werden, dass der Treuhänder ein Wirtschaftsgut, das er von einem Dritten erwirbt, aufgrund diesbezüglicher Abmachung mit dem Treugeber für diesen und dessen Rechnung, also lediglich zu treuen Händen, erwirbt. Begründen lässt sich ein Treuhandverhältnis nicht nur auf rechtsgeschäftlichem Wege unter Lebenden, sondern auch durch Verfügung von Todes wegen.
Tz. 20
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der bei Treuhandverhältnissen am häufigsten anzutreffende Zweck besteht in der Übertragung der Verwaltung von Vermögenswerten des Treugebers auf den Treuhänder. Da der Treugeber aus Gründen der verschiedensten Art nach außen nicht als Eigentümer in Erscheinung treten will, überträgt er einer Person seines Vertrauens das Eigentum mit der Weisung, von der dem Eigentümer im Rechtsverkehr zukommenden umfassenden Rechtsstellung nur insoweit Gebrauch zu machen, als dies der Zweck der Treuhandverwaltung erfordert. Entsprechendes gilt für die treuhänderische Übertragung von Rechten und von Rechtspositionen jeglicher Art, z. B. von Gesellschaftsrechten einschließlich der mit diesen verbundenen Stimmrechte.
Tz. 21
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da der Gegenstand des Treuhandverhältnisses nach der Interessenlage und dem wirtschaftlichen Zweck der Vereinbarungen nicht aus dem Vermögen des Treugebers ausscheidet bzw. von vornherein in das Vermögen des Treugebers übergehen soll, ist er – soweit nicht ausnahmsweise eine rechtsförmliche Betrachtung am Platz ist (s. Rz. 5 ff.) – nicht dem Treuhänder als dem rechtlichen Eigentümer, sondern dem Treugeber als dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen.
Tz. 22
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Frage, ob ein Treuhandverhältnis gegeben ist, kommt es im Einzelfall – neben der nach außen in Erscheinung tretenden Rechtslage – wesentlich auf die von den Beteiligten im Innenverhältnis getroffenen Vereinbarungen an (BFH v. 24.11.2009, I R 12/09, BStBl II 2010, 590; BFH v. 06.08.2013, VIII R 10/10, BStBl II 2013, 862). Es müssen unzweideutige Abmachungen vorliegen, kraft deren die mit dem rechtlichen Eigentum des Treuhänders verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis so weit eingeschränkt wird, dass es wirtschaftlich nur eine leere Form bleibt und die entscheidenden Merkmale der mit dem Eigentum verbundenen Sachherrschaft dem nach außen nicht auftretenden Treugeber zustehen (BFH v. 10.05.2016, IX R 13/15, BFH/NV 2016, 1556; BFH v. 14.03.2017, VIII R 32/14, BFH/NV 2017, 1174). Hauptsächliche Kriterien für die Annahme bloßen Treuhandeigentums sind die Weisungsbefugnis des Treugebers hinsichtlich der Ausübung der mit dem Eigentum verbundenen Rechte und die Verpflichtung des Treuhänders, den Gegenstand seines Eigentums und die ihm zufließenden Früchte und sonstige Vorteile auf dessen Verlangen jederzeit auf den Treugeber zu übertragen. Der Treugeber muss das Treuhandverhältnis beherrschen (BFH v. 27.01.1993, IX R 269/87, BStBl II 1994, 615; BFH v. 21.05.2014, I R 42/12, BStBl II 2015, 4: auch mehrere Treugeber gemeinschaftlich). Der BFH betont das Erfordernis eindeutiger und klar nachweisbarer Rechtsbeziehungen, insbes. bei entgegenstehenden Handelsregistereintragungen (BFH v. 18.01.1962, V 105/59, HFR 1962, 248). Bei formunwirksamen Vereinbarungen kommt insbes. dem tatsächlichen Vollzug starke indizielle Bedeutung zu (BFH v. 11.05.2010, IX R 19/09, BStBl II 2010, 823; BFH v. 14.03.2012, IX R 37/11, BStBl II 2012, 487; BGH v. 06.09.2012, 1 StR 140/12, NJW 2012, 3455). Der Umstand, dass ein Treuhandverhältnis in den Büchern und Bilanzen nicht zum Ausdruck gekommen ist, braucht seine Anerkennung nicht unbedingt auszuschließen (BFH v. 28.02.2001, I R 12/00, BStBl II 2001, 468). Stillschweigende Abmachungen können aber nur dann anerkannt werden, wenn die in Rede stehenden Beziehungen den Umständen nach nicht anders denn als Treuhandverhältnis gedeutet werden können (zum Nachweis der Treuhandschaft s. § 159 AO und zum Nachweis einer Vereinbarungstreuhand s. BFH v. 25.07.1997, VIII R 56/93, BStBl II 1998, 152).
Tz. 22a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Aus der Rechtsprechung: BFH v. 21.05.1971, III R 125–127/70, BStBl II 1971, 721: zum Erwerb und zur Verwaltung ausländischer Wertpapiere einer ins Leben gerufenen Auslandsgesellschaft als Treuhänder der Gesellschafter; BFH v. 14.07.1961, VI R 77/61 U, BStBl III 1961, 435: Treuhandverh...