Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Voraussetzung für eine Umdeutung nach § 128 AO ist, dass der andere Verwaltungsakt auf das gleiche Regelungsziel wie der ursprüngliche Verwaltungsakt gerichtet ist. Danach darf kein anderer Sachverhalt dem anderen Verwaltungsakt zugrunde gelegt werden, also keine andere Person oder kein anderer Veranlagungszeitraum als im umzudeutenden Verwaltungsakt (von Wedelstädt in Gosch, § 128 AO Rz. 6 f.; Seer in Tipke/Kruse, § 128 AO Rz. 3 f.). Ein Haftungsbescheid kann nicht in einen Steuerbescheid umgedeutet werden (BFH v. 06.09.1989, II R 61/86, BFH/NV 1990, 594 und für den umgekehrten Fall BFH v. 18.07.1991, V R 72/87, BStBl II 1991, 781). Eine Umdeutung der Zustellung in eine schlichte Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 AO lässt § 128 AO ebenso nicht zu, da die förmliche Zustellung nach dem VwZG und die Bekanntgabe nach § 122 AO artverschieden sind (BFH v. 25.01.1994, VIII R 45/92, BStBl II 1994, 603, 605). Zulässige Beispiele für eine Umdeutung sind: Umdeutung einer Aussetzung der Vollziehung in eine Stundungsverfügung (BFH v. 24.04.1985, II B 53/84, BFH/NV 1986, 11), Umdeutung eines Wertfortschreibungs- in einen Nachfeststellungsbescheid (BFH v. 19.07.2012, II R 5/10, BFH/NV 2012, 1942) oder Umdeutung eines Erstbescheids, der in der unzutreffenden Annahme der Nichtigkeit eines vorangegangenen Bescheids ergeht, in einen Änderungsbescheid (BFH v. 22.08.2007, II R 44/05, BStBl II 2009, 754). Zum umgekehrten Fall der Umdeutung eines Änderungs- in einen Erstbescheid s. BFH v. 18.07.1985, VI R 100/83, BFH/NV 1987, 431. Ein weiteres Beispiel ist die Umdeutung der Zurückweisung eines Bevollmächtigten in die Zurückweisung eines Beistands (BFH v. 19.10.2016, II R 44/12, BStBl II 2017, 797).
Der umgedeutete Verwaltungsakt muss sowohl in den sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsbereich der erlassenden Finanzbehörde fallen als auch in der Verfahrensweise und Form, in der der fehlerhafte Verwaltungsakt ergangen ist, erlassen werden können. Damit verbietet sich z. B. die Umdeutung eines mündlichen Verwaltungsakts in einen Verwaltungsakt, für den schriftliche Erteilung zwingend vorgeschrieben ist. Dagegen ist die Umdeutung eines wegen Form- oder Verfahrensverstoßes fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt, für den wegen weniger strenger Form- und Verfahrensvorschriften die gewählte Form bzw. das bisherige Verfahren keinen Verstoß darstellt, nicht ausgeschlossen.
Schließlich müssen alle Voraussetzungen für den Erlass des anderen Verwaltungsakts erfüllt sein. Diese an und für sich selbstverständliche Voraussetzung verhindert die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt, der mit einem anderen Fehler behaftet ist. Außerdem kann die Umdeutung nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen (Seer in Tipke/Kruse, § 128 AO Rz. 9).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nur fehlerhafte Verwaltungsakte sind einer Umdeutung zugänglich. Insoweit ist die Zielsetzung der Verfahrensökonomie von Bedeutung. Entsprechend dem im bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz, dass eine Umdeutung nur dann in Frage kommt, wenn eine Willenserklärung ohne diese keinerlei Wirkungen haben kann (nichtig ist), ist eine Umdeutung nur dann zulässig, wenn ohne sie der Verwaltungsakt entweder nichtig wäre oder ihm auf Anfechtung hin Aufhebung droht. Die Umdeutung dient der Rettung eines missglückten Verwaltungsakts. Da sie das letzte Mittel ist, kommt eine Umdeutung nicht in Frage, wenn der Fehler durch Heilung unbeachtlich gemacht werden kann (s. § 126 AO) oder die Aufhebung des Verwaltungsakts gem. § 127 AO nicht beansprucht werden kann.
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Fehlerhaft i. S. dieser Vorschrift sind – anders bei §§ 126, 127 AO – auch nichtige Steuerverwaltungsakte, weil durch die Umdeutung, die selbst Steuerverwaltungsakt ist, ein wirksamer Verwaltungsakt entsteht (Seer in Tipke/Kruse, § 128 AO Rz. 2; Ratschow in Klein, § 128 AO Rz. 2). Unanwendbar ist § 128 AO auf nicht ordnungsgemäß bekannt gegebene Verwaltungsakte (s. § 122 AO Rz. 7) und auf sog. Nichtverwaltungsakte (von Wedelstädt in Gosch, § 128 AO Rz. 1.2 m. w. N.).