Tz. 41
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht mehr gestellt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, wenn seit dem Ende der versäumten Frist ein Jahr verstrichen ist, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO). Unter höherer Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage der Sache vom Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann (BFH v. 27.06.2011, III B 91/10, BFH/NV 2011, 1664; BFH v. 08.08.2013, V R 3/11, BStBl II 2014, 46), z. B. Krieg, Stillstand der Behördentätigkeit, Naturereignisse, nicht aber die Rspr. des EuGH (BFH v. 16.09.2010, V R 57/09, BStBl II 2011, 151) oder nach der Bestandskraft eines Steuerbescheids aufkommende Zweifel an einer entscheidungserheblichen Norm (BFH v. 17.11.2009, VI B 74/09, BFH/NV 2010, 817). Sofern höhere Gewalt zu bejahen ist, tritt eine Verlängerung der Jahresfrist ein, die bis zum Ende der Behinderung durch höhere Gewalt zuzüglich der Zeitspanne dauert, während welcher bis zum Ende der Jahresfrist innerhalb Letzterer durch höhere Gewalt Hemmung eingetreten war. Ausreichend ist es, wenn der Antrag innerhalb der Jahresfrist gestellt oder die versäumte Handlung innerhalb der Jahresfrist nachgeholt wird; die Entscheidung kann auch noch nach Ablauf der Jahresfrist getroffen werden. Dasselbe gilt auch für die Gewährung von Wiedereinsetzung ohne Antrag, sofern die versäumte Handlung rechtzeitig nachgeholt wurde und die Wiedereinsetzungsgründe aktenkundig bzw. amtsbekannt sind. Keine höhere Gewalt sind die Versäumnis von Fristen bei fehlenden Informationen des Testamentsvollstreckers bei der Erbauseinandersetzung, Inhaftierung, Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht oder die Unkenntnis von der Jahresfrist.
Die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO dient dem Rechtsfrieden. Gegen ihre "Versäumung" ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich.