Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 90 Abs. 2 AO trägt der Tatsache Rechnung, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörde hinsichtlich von Auslandsbeziehungen erheblich eingeschränkt sind (Grundsatz der formellen Territorialität; vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Tz. 18), weil Ermittlungshandlungen im Ausland grundsätzlich nicht möglich sind. Um gleichwohl zu einer möglichst zutreffenden Steuerfestsetzung zu kommen, werden die Mitwirkungspflichten der Beteiligten erheblich verstärkt. Sie haben im Gegensatz zu dem ansonsten gem. § 88 AO herrschenden und die Behörde primär belastenden Grundsatz der amtlichen Ermittlungspflicht die Verpflichtung, den betreffenden Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 AO). Die bloße Benennung der Beweismittel reicht damit nicht aus; vielmehr müssen die Beteiligten die Behörde in die Lage versetzen, sich der Beweismittel zu bedienen. Deshalb sind z. B. ausländische Zeugen, die nicht im Inland wohnen, durch den Steuerpflichtigen zu stellen (BFH v. 26.07.1995, I R 78/93, I R 86/94, BFH/NV 1996, 383; BFH v. 07.07.2008, VIII B 106/07, BFH/NV 2008, 2028; v. 21.06.2010, VII B 247/09, BFH/NV 2010, 2113; v. 05.08.2011, III B 144/10, BFH/NV 2011, 1915; v. 13.02.2012, II B 12/12, BFH/NV 2012, 772; BFH v. 11.07.2013, IV R 27/09, BStBl II 2013, 989; BFH v. 18.04.2017, III B 76/16, BFH/NV 2017, 1050). In der Praxis wichtige Beispiele für erhöhte Mitwirkungspflichten sind z. B. die Einschaltung ausländischer Domizilgesellschaften (typischer Fall: Benennung eines Zahlungsempfängers), Nachweis von Unterhaltszahlungen an im Ausland ansässige Angehörige (BFH v. 27.07.2011, VI R 62/10, BFH/NV 2012, 710), Ermittlung von Betriebsausgaben, bei denen sich der Zahlungsempfänger im Ausland befindet, Bestehen einer ausl. Gütergemeinschaft (BFH v. 31.05.2010, X B 162/09, BFH/NV 2010, 2011). Negative Tatsachen unterliegen nicht der erhöhten Mitwirkungspflicht des Abs. 2 (BFH v. 10.05.2017, II R 53/14, BFH/NV 2017, 1389).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei der Erfüllung dieser Pflichten haben die Beteiligten alle für sie bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies gilt grds. aber auch für die FinVerw., die vorhandene Ermittlungsmöglichkeiten im Wege der Amtshilfe ausschöpfen muss (BFH v. 18.11.2008, VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731). Erst wenn diese Ermittlungen erfolglos bleiben, trifft den Stpfl. die erhöhte Mitwirkungspflicht. Auf die rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Sachverhaltsaufklärung bzw. Beweismittelbeschaffung kann sich der Stpfl. dann nicht berufen, wenn er durch den Abschluss entsprechender vertraglicher Vereinbarungen früher hätte Vorsorge treffen können (Beweisvorsorgepflicht). Dies stellt § 90 Abs. 2 Satz 4 AO klar. Wie weit diese absolute Darlegungs- und Nachweispflicht im konkreten Fall reicht, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit (BFH v. 07.05.2015, VI R 32/14, BFH/NV 2015, 1248). Der mit den geforderten Maßnahmen verbundene Aufwand muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den aus dem betreffenden Sachverhalt herzuleitenden steuerlichen Konsequenzen stehen.
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Mit dem SteuerHBekG v. 29.07.2009 (BGBl I 2009, 2302) wurde durch Einfügung von § 90 Abs. 2 Satz 3 AO die ohnehin schon erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten noch erweitert. Betroffen sind Geschäftsbeziehungen zu sog. kooperationsunwilligen Staaten. Darunter versteht das Gesetz die Staaten, mit denen kein Abkommen über die Erteilung von Auskünften entsprechend Art. 26 DBA-MA besteht oder der Staat oder ein Gebiet keine Auskünfte in einem vergleichbaren Umfang erteilt oder keine Bereitschaft zu einer entsprechenden Auskunftspflicht besteht. Damit soll den eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten bei auskunftsunwilligen Staaten ("Steueroasen") Rechnung getragen werden, wobei das politische Ziel, Druck auf diese Staaten auszuüben, im Vordergrund steht. Gegenüber dem Stpfl. ermächtigt die Regelung, eine eidesstattliche Erklärung des Stpfl. über die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben anzufordern. Die Vorschrift ist lex specialis zu § 95 AO. Die Abgabe der Erklärung kann allerdings nicht nach § 328 AO erzwungen werden. Zudem kann der Stpfl. noch weitergehend dazu aufgefordert werden, die Finanzbehörde zu bevollmächtigen, in seinem Namen Auskunftsansprüche gegenüber den von der Finanzbehörde benannten Kreditinstituten geltend zu machen. Damit soll eine Informationserteilung an die Finanzbehörde sichergestellt werden. Auch die Bevollmächtigung kann nicht mit Zwangsmitteln erzwungen werden.
An der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen werden wegen der Unbestimmtheit der Tatbestandsvoraussetzungen und dem Umstand, dass sie die wesentlichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit einer Eingriffsnorm aus dem Gesetz ergeben müssen, durchaus beachtliche verfassungsrechtliche Zweifel geäußert (vgl. auch Seer ...