Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Steuerschuld entsteht nach Maßgabe des konkret verwirklichten Steuertatbestandes, der Erstattungs- oder Vergütungsanspruch nach Maßgabe des Tatbestandes, an dessen Erfüllung das Gesetz die Erstattung oder Vergütung knüpft. Aus dieser Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung folgt, dass die Beteiligten den Sachverhalt, der dem Leitbild des gesetzlichen Steuertatbestandes entspricht, zur Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Ziele zwar nach Belieben gestalten können, dass es ihnen aber grundsätzlich verwehrt ist, diesen Sachverhalt nachträglich mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit ganz oder teilweise wieder aufzuheben (rückgängig zu machen; wegen des Sonderfalles auflösend bedingter Gestaltungen s. Rz. 12 ff). Eine Rückbeziehung (Rückdatierung) von Verträgen und einseitigen Rechtsgeschäften mag privatrechtlich vereinbart werden können, steuerlich hat sie grundsätzlich keine Bedeutung. Was bisher tatsächlich nicht geschehen ist, kann nicht mit steuerlicher Wirkung als geschehen unterstellt werden. Eine solche Einflussnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in das öffentlich-rechtliche Steuerrechtsverhältnis (BFH v. 18.09.1984, VIII R 119/81, BStBl II 1985, 55). Der rückwirkend gewollte Vertrag hat steuerliche Auswirkung regelmäßig ab dem Zeitpunkt seines Abschlusses bzw. seiner tatsächlichen Durchführung (BFH v. 08.03.1955, I 73/54 U, BStBl III 1955, 187, 190). Soweit jedoch Rechtshandlungen von Gesetzes wegen mit Rückwirkung ausgestattet sind (s. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), z. B. die Genehmigung schwebend unwirksamer Verträge und vollmachtsloser Erklärungen (s. § 184 BGB) oder die Anfechtung von Rechtsgeschäften wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung (s. §§ 119, 123 BGB), so gilt das auch steuerlich (BFH v. 30.09.1960, VI 240/58 U, BStBl III 1960, 465; BFH v. 08.11.1972, I R 227/70, BStBl II 1973, 287), vorausgesetzt, dass das Erforderliche unverzüglich geschieht (BFH v. 01.02.1973, IV R 49/68, BStBl II 1973, 307) und dass auch die weitere tatsächliche Handhabung durch die Beteiligten nicht entgegensteht (s. § 41 AO). Von diesen Besonderheiten abgesehen, die zu einer gesetzlich normierten Rückwirkung führen, haben willkürlich vorgenommene Rückbeziehungen keine steuerliche Wirkung. Unberührt bleiben die Fälle des auflösend bedingten Sachverhaltes, sei es kraft ausdrücklicher Gestaltung (vereinbarten Vorbehaltes), sei es kraft immanenter Möglichkeit nachträglicher Veränderung (s. § 29 Abs. 1 ErbStG), in denen auch die Steuerschuld von vornherein nur bedingt entsteht (s. Rz. 12 ff.). Daneben gibt es auch Sonderregelungen, welche die rückwirkende Aufhebung von Rechtsgeschäften unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich anerkennen (Beispiele: s. § 41 Abs. 1 AO; s. § 16 GrEStG; s. § 9 VersStG).