A. Bedeutung der Vorschrift und Anwendungsbereich

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Leidet ein wirksam bekannt gegebener Verwaltungsakt unter einem Form- oder Verfahrensfehler und ist er rechtswidrig und nicht nichtig (zur Nichtigkeit s. § 125 AO Rz. 3 ff.), kann er nach § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO dadurch geheilt werden, dass die Rechtswidrigkeit durch die Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung beseitigt wird, soweit keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist (BFH v. 14.05.2014, X R 27/14, BFH/NV 2014, 1494). Der Heilungskatalog des § 126 Abs. 1 AO ist abschließend und dient der Verfahrensökonomie: ein materiell rechtmäßiger Verwaltungsakt soll nicht nur wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben werden müssen, sodass die Finanzbehörde anschließend erneut einen Verwaltungsakt gleichen Inhalts erlassen muss. Hat sich der Verwaltungsakt jedoch durch Zeitablauf oder in sonstiger Weise gem. § 124 Abs. 2 AO erledigt, ist eine Heilung nach § 126 nicht mehr möglich (BFH v. 17.01.2017, VIII R 52/14, BFH/NV 2017, 777).

Neben § 126 AO ist § 127 AO anwendbar, sodass der formell fehlerhafte Verwaltungsakt auch ohne eine Heilung nach § 126 AO Bestand hat, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dies gilt nur für gebundene Verwaltungsakte, nicht für Ermessensentscheidungen (s. § 127 AO). Wird der Verfahrens- oder Formfehler nach § 126 AO geheilt, findet § 127 AO keine Anwendung. Auch eine Korrektur des Verwaltungsaktes nach §§ 130f., 172 ff. AO (s. Vor §§ 130–132 AO Rz. 2) kommt dann nicht in Betracht.

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 126 AO findet auf alle Verwaltungsakte i. S. des § 118 AO Anwendung, d. h. auf sonstige Verwaltungsakte sowie auf Steuerbescheide und ihnen gleichgestellte Bescheide, auf gebundene Verwaltungsakte wie auf Ermessenentscheidungen, jedoch nicht auf von vornherein unwirksame, Nicht- oder Scheinverwaltungsakte (von Wedelstädt in Gosch, § 126 AO Rz. 3) oder nichtige Verwaltungsakte (s. § 125 AO).

B. Heilung durch Nachholung (§ 126 Abs. 1 AO)

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Einer Heilung nach Erlass des Verwaltungsakts sind nur die in § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO aufgezählten Mängel zugänglich. Die nachträgliche Beachtung der entsprechenden Verfahrens- oder Formvorschrift bewirkt, dass deren ursprüngliche Verletzung unbeachtlich, d. h. ohne jede Auswirkung (beachte aber § 126 Abs. 3 AO) ist.

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 126 Abs. 1 Nr. 1 AO: Verwaltungsakte, die nur auf Antrag ergehen, sind rechtswidrig, wenn der erforderliche Antrag fehlt. Der Antragsberechtigte hat es aber in der Hand, seinen Antrag jederzeit – ggf. jedoch innerhalb der entsprechenden Ausschlussfrist (s. AEAO zu § 126 AO, Nr. 1) – nachträglich zu stellen und damit diese Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu beseitigen (§ 126 Abs. 1 Nr. 1 AO). § 126 Abs. 2 AO ist nicht anwendbar. Wegen der Pflicht der Finanzbehörde, die Stellung von Anträgen anzuregen, die offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis nicht gestellt worden sind, s. § 89 Satz 1 AO.

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO: Für schriftliche, elektronische sowie schriftlich oder elektronisch bestätigte Verwaltungsakte ist gem. § 121 AO grundsätzlich eine Begründung vorgeschrieben. Fehlt eine danach erforderliche Begründung, so ist der Verwaltungsakt fehlerhaft (s. § 121 AO Rz. 13). § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO erklärt den Fehler für unbeachtlich, falls die erforderliche Begründung innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 126 Abs. 2 AO nachgeholt wird. Darüber hinaus gilt nach § 126 Abs. 3 AO eine aufgrund des Fehlens der Begründung eingetretene Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet i. S. der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO). § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO bezieht sich nur auf die nachträgliche Begründung. Der Verwaltungsakt darf nicht in seinem sachlichen, persönlichen oder zeitlichen Regelungsgehalt geändert werden (BFH v. 31.05.1995, II R 31/92, BFH/NV 1996, 17; von Wedelstädt in Gosch, § 126 AO Rz. 7.1). Die Änderung eines zu unbestimmten Ausspruchs fällt nicht unter § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO; hier kommt allenfalls eine Umdeutung nach § 128 AO in Betracht.

Ist die Begründung inhaltlich falsch, liegt kein Fall des § 126 Abs. 1 Nr. 2 vor, es sei denn, sie ist unvollständig und/oder unverständlich (von Wedelstädt in Gosch, § 126 AO Rz. 7.1; Seer in Tipke/Kruse, § 126 AO Rz. 5, der § 126 Abs. 1 Nr. 2 auch dann für anwendbar hält, wenn die Begründung floskelhaft, inhaltsleer und unverständlich ist). Denn für die Rechtmäßigkeit eines gebundenen Verwaltungsakts ist nicht die Richtigkeit der Gründe, sondern des Ausspruchs entscheidend (s. § 119 AO Rz. 4). Dagegen ist eine nicht oder nicht ausreichend begründete Ermessensentscheidung rechtswidrig (s. § 5 AO Rz. 30).

Die Nachholung der Begründung hat in der Form zu erfolgen, die für die Begründung selbst vorgeschrieben war (s. § 121 AO). Danach kann der Begründungsmangel einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung nicht durch mündliche Mitteilung geheilt werden (von Wedelstädt in Gosc...

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