Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Schrifttum
Blesinger, Das Ermessen der Finanzbehörde beim Erlass eines Haftungsbescheids, StuW 1995, 226;
Huber, Das neue Rechts der Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens, ZIP 1998, 897;
Fett/Barten, Die Geltendmachung der Anfechtung nach dem neuen Anfechtungsgesetz 1999 durch das Finanzamt, DStZ 1999, 91;
App, Duldungsbescheide des Finanzamts nach neugefasstem Anfechtungsrecht und neugefasstem § 191 AO, DStZ 2002, 279;
Nacke, Ermessensfehler beim Erlass von Haftungsbescheiden gegen die GmbH oder den Geschäftsführer, GmbHR 2006, 846;
Balmes/Ambroziak, Abwehrmaßnahmen gegen Haftungsbescheide, AO-StB 2009, 244;
Heintzen, Steuerliche Haftung und Duldung auf zivilrechtlicher Grundlage, DStZ 2010, 199;
Finzel, Kompensierung einer zu niedrigen Steuerfestsetzung beim Haftungsschuldner?, AO-StB 2015, 244.
A. Bedeutung der Vorschrift
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift regelt die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass von Haftungs- und Duldungsbescheiden und die Form dieser Bescheide (BFH v. 24.02.1987, VII R 4/84, BStBl II 1987, 363; BVerwG v. 07.07.1989, 8 C 85.87, DVBl 1989, 1211). Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die zugrunde liegenden Haftungs- und Duldungsansprüche ergeben sich aus den einzelnen gesetzlichen Haftungsvorschriften (s. vor §§ 69 bis 77 AO Rz. 3 ff.). Da § 191 Abs. 1 AO lediglich die verfahrensrechtliche Form der Geltendmachung von Haftungsansprüchen betrifft, folgt aus der vom Gesetz angeordneten Haftung für steuerliche Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 4 AO (s. § 69 Satz 2 AO, § 71 AO), dass auch diese durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden können (Loose in Tipke/Kruse, § 191 AO Rz. 14). Für die Inanspruchnahme des Haftenden für steuerliche Nebenleistungen durch Haftungsbescheid macht es keinen Unterschied, ob sich die Haftung aus Steuergesetzen oder aus anderen Rechtsquellen ergibt (BFH v. 24.02.1987, VII R 4/84; BStBl II 1987, 363). Deliktische Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB können nach Auffassung des BFH nicht durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden, sondern sind auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen (BFH v. 19.12.2013, III R 25/10, BStBl II 2015, 119).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wenngleich der Haftungsanspruch denknotwendig das Entstandensein des ihm zugrundeliegenden Steueranspruchs voraussetzt, darf ein Haftungsbescheid auch schon vor Erlass des Steuerbescheids ergehen (BFH v. 28.02.1973, II R 57/71, BStBl II 1973, 573; BVerwG v. 16.09.1997, 8 B 143.97, BStBl II 1997, 782: entsprechendes gilt für Zinsen). Das ergibt sich aus § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO. Im Fall der Haftung für einen Rückforderungsanspruch ist allerdings erforderlich, dass die der Erstattung zugrundeliegenden Bescheide korrigiert sind (BFH v. 14.03.2012, XI R 6/10, BStBl II 2014, 607). Dagegen setzt die Geltendmachung der dinglichen Haftung durch Duldungsbescheid voraus, dass der zugrundeliegende Steueranspruch festgesetzt, fällig und vollstreckbar ist (BVerwG v. 13.02.1987, 8 C 25.85, BStBl II 1987, 475).
B. Haftungs- bzw. Duldungsbescheid
I. Haftung
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 191 AO behandelt die Festsetzung des auf Gesetz beruhenden Haftungsanspruchs (s. vor § 69 AO) durch einen Haftungsbescheid. Das ist ein Verwaltungsakt, der die Feststellung enthält, dass ein bestimmter Lebenssachverhalt verwirklicht ist, der die Haftungsfolge in einer bestimmten Höhe auslöst (BFH v. 25.05.2005; VII R 29/02, BStBl II 2005, 3). Er konkretisiert sich weiter durch den Anspruch für den gehaftet werden soll in Bezug auf die Person des Stpfl., der Steuerart und des Steuerabschnitts (BFH v. 04.07.2013, X B 91/13, BFH/NV 2013, 1540). Davon zu unterscheiden ist die Inanspruchnahme des Haftenden auf Zahlung durch das Leistungsgebot nach § 219 AO. Der Haftungsbescheid bildet nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO die Grundlage für die unter den besonderen Voraussetzungen des § 219 AO zulässige Verwirklichung des Haftungsanspruchs. Die auf § 219 AO gestützte Zahlungsaufforderung kann mit dem Haftungsbescheid verbunden werden. Der Erlass eines Haftungsbescheids ohne eine solche Zahlungsaufforderung kann z. B. zweckmäßig sein, wenn die für ihn geltende Festsetzungsfrist abzulaufen droht (s. Rz. 16 ff.), die Voraussetzungen des § 219 AO aber noch fraglich sind (s. Rz. 6).
II. Duldung
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die kraft Gesetzes zur Duldung der Vollstreckung Verpflichteten können, soweit überhaupt ein Duldungsbescheid notwendig ist (s. § 77 AO Rz. 3), aufgrund eines Duldungsbescheids in Anspruch genommen werden. Anwendungsfälle finden sich z. B. in den §§ 263 bis 265 AO und in § 323 AO. Bereits zur Geltendmachung der Gläubigerrechte nach dem Anfechtungsgesetz a. F. hat der BFH (BFH v. 10.02.1987, VII R 122/84, BStBl II 1988, 313 m. w. N.) den Erlass von Duldungsbescheiden zugelassen. Nach Inkrafttreten des neuen AnfG ist dies erneut in Zweifel gezogen worden (Huber ZIP 1998, 902). Die Zulässigkeit der Geltendmachung des Duldungsanspruchs hat der Gesetzgeber nun durch § 191 Abs. 1 Satz 2 AO klargestellt (BGH v. 27.07.2006, IX ZB 141/05, DB 2006, 1894). Der klars...