Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Schrifttum
Helsper, Wege für Beweger im Steuerwesen, Köln 2001; Luttermann, Normenklarheit im Steuerrecht und "unbestimmte" Rechtsbegriffe?, FR 2007, 18.
A. Die Steuerschuld: Wesen und Gegenstand
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift befasst sich mit der Entstehung der in § 37 Abs. 1 AO aufgeführten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Diese gehen durchweg auf eine Geldleistung, in erster Linie des Fiskus. Aber auch der Steuerpflichtige und andere Personen, denen aus Zahlungen ohne rechtlichen Grund oder aus systematischen oder wirtschaftspolitisch motivierten Gründen Ansprüche auf Erstattung oder Vergütung von Steuern zustehen, haben einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Dieser besteht regelmäßig gegenüber der mit der Verwaltung der betreffenden Steuer betrauten Gebietskörperschaft. Die Entstehung der steuerlichen Ansprüche dem Rechtsgrund nach ist auf den Zeitpunkt fixiert, in dem sämtliche Merkmale des maßgebenden im Gesetz formulierten Tatbestandes erfüllt sind. Hiervon zu unterscheiden sind sowohl ihre Festsetzung (s. §§ 155ff. AO) oder Selbsterrechnung (s. § 150 Abs. 1 Satz 2, § 168 AO) wie auch ihre Fälligkeit (s. §§ 220, 221 AO).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Da das Steuerschuldverhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis des öffentlichen Rechts ist, folgt hieraus, dass die auf ihm beruhenden Ansprüche kraft Gesetzes unmittelbar aus der Verwirklichung des einschlägigen Tatbestandes erwachsen, sodass es auf die Willensrichtung des Steuerpflichtigen, von der Gestaltung des zugrunde liegenden Sachverhaltes abgesehen, nicht ankommt (BFH v. 06.12.1991, III R 81/89, BStBl II 1992, 303: keine Steuerverweigerung aus Gewissensgründen). Hieraus folgt weiter, dass die Steuerschuld, nachdem sie entstanden ist, unbeschadet ihrer Tilgung und der etwaigen Gewährung eines Billigkeitserlasses, weder durch den Steuergläubiger noch durch den Steuerpflichtigen, weder durch einseitige Handlung noch durch vertragliches Übereinkommen aus der Welt geschafft werden kann. Der zwingende Charakter des öffentlichen Rechts entzieht seine Schuldverhältnisse der Verfügungsmacht der Beteiligten. Der Steuertatbestand kann mit Rechtswirkung durch "vergleichsweise" Regelungen weder im Ganzen noch in einzelnen Teilen abgedungen werden. "Steuervereinbarungen", sei es dahingehend, dass der Steuergläubiger sich vertraglich verpflichtet, auf die Geltendmachung entstandener Steueransprüche zu verzichten, sei es, dass sich eine Person zur Zahlung von Steuern verpflichtet, die nach dem Gesetz nicht geschuldet wird, sind unwirksam (BFH v. 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl II 1985, 354). Zur tatsächlichen Verständigung s. im Übrigen die Erläuterungen vor §§ 204–207 AO Rz. 15 ff.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die vorstehenden Ausführungen gelten unabhängig davon, ob ein Tatbestand oder Tatbestandsmerkmal steuerbegründende, – erhöhende, – mindernde oder – verhindernde Wirkung hat. So müssen auch Steuerbefreiungstatbestände gesetzlich geregelt sein (BFH v. 06.11.1985, II R 63/83, BStBl II 1986, 77). Auch Billigkeitsmaßnahmen zugunsten der Steuerpflichtigen bedürfen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (s. §§ 163, 222, 227, 258 AO), ebenso wie verwaltungsökonomisch motivierte Opportunitätsregelungen (s. §§ 88 Abs. 1 Satz 3, 156, 261 AO).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ihrem Gegenstand nach geht die Steuerschuld auf die Entrichtung einer nach Maßgabe des Steuertatbestandes zu bestimmenden Geldsumme als Steuer (s. § 3 Abs. 1 AO) an die zur Verwaltung (Erhebung) berufene Finanzbehörde. In Geld bestehen auch die steuerlichen Nebenleistungen, insbes. die Säumniszuschläge (s. § 240 AO), Verspätungszuschläge (s. § 152 AO), die Zinsen (s. §§ 233ff. AO) und die Kosten der Vollstreckung (s. §§ 337ff. AO). Wie die Steuer selbst knüpfen auch die Nebenleistungen an die Erfüllung ihrer gesetzlich bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen an, die teilweise durch Ermessensentscheidungen ergänzt werden (s. § 152 AO oder § 234 Abs. 2 AO).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Was für die Steuerschuld gilt, findet entsprechende Anwendung für die Ansprüche der Steuerpflichtigen oder anderer Personen (s. § 43 AO) auf Erstattung oder Vergütung von Steuern, bzw. für die Rückforderung von Erstattungs- bzw. Vergütungsbeträgen. Auch die Entstehung dieser Verpflichtungen ist die gesetzliche Folge der Erfüllung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen.
B. Der Steuertatbestand und seine Verwirklichung
I. Begriff und steuergesetzliche Ausprägung
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerschuld nach Grund und Höhe regeln die Einzelsteuergesetze und der Zollkodex (s. Art. 77 bis 88 UZK) in Verbindung mit den Tarifen. Sie normieren die Steuertatbestände als Gesamtheit der Merkmale, die in objektiver und subjektiver Beziehung zutreffen müssen, um die Steuerschuld entstehen zu lassen. In diesem Sinn wird die Verwirklichung eines Steuertatbestandes einschließlich der aus ihr erwachsenden Steuerschuld häufig als Steuerfall bezeichnet.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Gestaltung der Steuertatbestände ist – je nach der Natur der ein...