A. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 56 FGO regelt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nur) für das finanzgerichtliche Verfahren, also für prozessuale Fristen (s. Rz. 2). Für das Verwaltungsverfahren, also auch das Einspruchsverfahren, gilt § 110 AO (s. Rz. 19). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ein Rechtsbehelf eigener Art gegen die rechtlichen Folgen, die mit dem Ablauf gesetzlicher Verfahrensfristen verbunden sind, insbes. den Verlust von Rechtsbehelfen oder rechtsbehelfsähnlichen Anträgen. Durch ihre Gewährung wird der Begünstigte in die verfahrensmäßige Rechtsstellung wiedereingesetzt, in der er sich vor dem Ablauf der Frist befand. Das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient aber nicht dazu, inhaltliche Unvollständigkeiten einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung zu heilen (BFH v. 29.10.2012, I S 11/12, BFH/NV 2013, 394; BFH v. 14.11.2012, V B 41/11, BFH/NV 2013, 239). Die Vorschrift stimmt weitgehend mit § 110 AO überein; jedoch ist im Gegensatz zur Wiedereinsetzung nach § 110 AO der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 110 AO: innerhalb eines Monats) zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Eine Ausnahme hiervon besteht für die Frist zur Begründung der Revision bzw. der NZB (§§ 116 Abs. 3 Satz 1, 120 Abs. 2 FGO): Hier beträgt die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag einen Monat (s. § 116 FGO Rz. 8 und s. § 120 FGO Rz. 4 ff.).

B. Voraussetzungen (§ 56 Abs. 1 FGO)

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Beteiligter eine gesetzliche Frist versäumt hat, dies ohne sein Verschulden geschehen ist, er einen entsprechenden Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses durch die entsprechenden Tatsachen glaubhaft macht und die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachholt (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 FGO; z. B. BFH v. 10.10.2003, VII B 236/03, BFH/NV 2004, 220). Dies gilt für alle Verfahrensbeteiligten; daher kann auch der Finanzbehörde Wiedereinsetzung bewilligt werden (BFH v. 28.03.1969, III R 2/67, BStBl II 1969, 548; s. Rz. 8). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch dann noch möglich, wenn ein Rechtsmittel oder ein Antrag bereits als unzulässig verworfen worden ist (BFH v. 17.09.2012, II B 87/12, BFH/NV 2012, 2003).

I. Versäumen einer gesetzlichen Frist

 

Tz. 3

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Gesetzliche Fristen bestehen in der FGO für die Erhebung der Klage (§ 47 Abs. 1 FGO), den Antrag auf mündliche Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids (§ 79a Abs. 2 Satz 2 FGO und § 79a Abs. 4 FGO, § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO), den Antrag auf Urteilsberichtigung (§ 108 Abs. 1 FGO) und -ergänzung (§ 109 Abs. 2 Satz 1 FGO), die Einlegung und Begründung der NZB (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO), die Einlegung und Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 FGO), die Einlegung der Beschwerde (§ 129 FGO), die Erinnerung (§ 149 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Wiedereinsetzungsfrist (§ 56 Abs. 2 FGO) selbst ist ebenfalls wiedereinsetzungsfähig (Söhn in HHSp, § 56 FGO Rz. 28 m. w. N.; vgl. z. B. BFH v. 31.05.2016, V B 26/16, BFH/NV 2016, 1479).

 

Tz. 4

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Ausnahmsweise sieht das Gesetz die sinngemäße Anwendung der Vorschrift auf richterliche Ausschlussfristen vor, nämlich für den Antrag auf Beiladung (§ 60a Satz 7 FGO), für die Frist mit ausschließender Wirkung zur Vorlage der Prozessvollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 4 FGO) und für die Klageergänzungsfrist mit ausschließender Wirkung (§ 65 Abs. 2 Satz 3 FGO).

II. Verhinderung ohne Verschulden

 

Tz. 5

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Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur dann zu gewähren, wenn der Beteiligte an der Einhaltung der Frist (s. Rz. 2 f.) ohne Verschulden verhindert war. Ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (vgl. z. B. BFH v. 09.08.2000, I R 33/99, BFH/NV 2001, 410; BFH v. 13.09.2017, V B 64/17, BFH/NV 2018, 45). Es gilt also ein subjektiver Verschuldensmaßstab. Jedes Verschulden – also auch einfache Fahrlässigkeit – schließt daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z. B. BFH v. 30.11.2010, IV B 39/10, BFH/NV 2011, 613; BFH v. 26.02.2014, IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629). Dabei kommt es in erster Linie auf das Verschulden des Beteiligten selbst an, in zweiter Linie muss er sich das Verschulden des Bevollmächtigten zurechnen lassen (z. B. BFH v. 27.01.1967, VI R 155/66, BStBl III 1967, 290; BFH v. 28.07.2017, X S 2/17 [PKH], BFH/NV 2017, 1629), dies folgt aus § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO. Allerdings endet die Zurechnung aus § 85 Abs. 2 ZPO bereits mit Kündigung des Vollmachtsverhältnisses im Innenverhältnis (BGH v. 10.07.1985, IVb ZB 102/84, HFR 1987, 270). Ein angestellter verantwortlich tätiger qualifizierter Berufsträger, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigke...

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