rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Sog. „Kellerakten” als neue Tatsache
Leitsatz (redaktionell)
- Für die Frage der Neuheit einer Tatsache kommt es auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an.
- Der Inhalt älterer, bereits im Keller oder in vergleichbaren Räumen abgelegter Akten, gilt nicht ohne weiteres als bekannt. Deren Inhalt muss die zuständige Dienststelle nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles eine besondere Veranlassung bestand.
Normenkette
AO § 173
Streitjahr(e)
1997
Tatbestand
Die ehemalige Klägerin, die am 18. Februar 2004 verstorbene Frau X, war Erbin ihrer am xxx verstorbenen Schwester. Frau X gab am 09.04.1997, beraten vom ihrem damaligen Steuerbevollmächtigten, eine Erbschaftsteuererklärung ab. In der Erbschaftsteuererklärung kreuzte sie unter den allgemeinen Angaben (A.4) bei der Frage, ob der Erblasser zu seinen Lebzeiten Schenkungen oder andere unentgeltliche Zuwendungen gemacht hat, diese Frage mit „nein” an. Auch die Frage nach Name und Anschrift des Bedachten, Zeitpunkt der Zuwendung, Art und Wert der Zuwendung sowie das für die Veranlagung von Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nebst Aktenzeichen füllte sie nicht aus. Die Erbschaftsteuererklärung wurde von Frau X eigenhändig unterschrieben.
Das Finanzamt veranlagte Frau X zur Erbschaftsteuer. Dabei wurde allerdings der Grundbesitzwert geschätzt, da noch kein Wert festgestellt war. Nachdem dieser mit Bescheid vom 15.12.1997 festgestellt war, stellte sich im Rahmen dieser Ermittlungen heraus, dass die Erblasserin einen Teil des Grundbesitzes bereits zu Lebzeiten auf Frau X übertragen hatte. Diese Übertragung war schenkungsteuerpflichtig erfasst worden aufgrund der Schenkungssteuererklärung vom 15.12.1994. Das Finanzamt erließ hinsichtlich dieses schenkungsteuerpflichtigen Erwerbes in Höhe von xx DM am 28.12.1994 einen Schenkungsteuerbescheid. Dabei wurden sowohl der Schenkungsteuerbescheid als auch der Erbschaftsteuerbescheid von demselben Sachbearbeiter des Finanzamtes bearbeitet.
Das Finanzamt änderte den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid vom 23.04.1997 mit Änderungsbescheid vom 09.01.1998 gem. § 173 Abgabenordnung, da es die Vorschenkung als neue Tatsache wertete.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Hiergegen richtet sich die Klage mit folgender Begründung.
Frau X habe zum Zeitpunkt der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung diese nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Sie sei davon ausgegangen, dass die Erbschaftsteuererklärung textlich und inhaltlich richtig zutreffend abgegeben worden sei. Zudem hätte der Steuerbescheid über die Vorschenkung beim Finanzamt vorgelegen. Der Bearbeiter sowohl der Schenkungsteuersache als auch der Erbschaftsteuersache sei identisch. Eine neue Tatsache könne deshalb nicht vorgelegen haben. Der schenkungsteuerrechtliche Vorgang habe bekannt gewesen sein müssen.
Die Kläger beantragen,
den Erbschaftsteueränderungsbescheid aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Das Finanzamt bearbeite eine Vielzahl von Steuerfällen. Karteien über Vorschenkungen würden dabei nicht geführt. Eine Verpflichtung zur Führung einer Schenkungsteuerkartei bestehe nicht. Bei der Bearbeitung von mehreren hundert Erbschafts- und Schenkungsteuerfällen pro Jahr könnten dem Sachbearbeiter auch bei Namensgleichheit nicht alle in der Vergangenheit bearbeiteten Fälle geläufig sein. Die Klägerin selbst habe jedoch in der Erbschaftsteuererklärung die Frage nach Vorschenkungen verneint. Es müsse allerdings davon ausgegangen werden, dass ihr die besondere Tatsache einer Grundstücksschenkung bei Unterschrift unter der Erbschaftsteuererklärung noch gegenwärtig gewesen sei. Bis zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung seien 2 1/2 Jahre seit der Schenkung vergangen. Das Verschulden treffe daher allein die Steuerpflichtige aufgrund der falschen Angabe in der Erbschaftsteuererklärung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das Finanzamt war berechtigt gewesen, den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid gem. § 173 Abgabenordnung aufgrund neuer Tatsachen zu ändern. Die Kenntnis von der Vorschenkung ist dabei eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abgabenordnung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (hierzu insbesondere Urteil des BFH vom 24. Januar 2002 XI R 2/01, BFH/NV 2002, 715 m.w.N.) braucht das Finanzamt eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen.
Inhalt älterer Kellerakten gilt nicht ohne Weiteres als bekannt
Zwar können dem Finanzamt auch Tatsachen bekannt sein, die sich aus älteren, bereits archivierten Akten ergeben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zur Hinzuziehung solcher Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärungen oder der präsenten Akten eine besondere Veranlassun...