Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Ausgewählte Literaturhinweise:
Roth, Einsetzung eines Zweitbegünstigten bei Liechtensteinischer Stiftung stellt erbschaftsteuerlich keinen Vertrag zugunsten Dritter dar, GWR 2014, 316.
10.1 Überblick
Rz. 401
Im Unterschied zu den ersten drei Grundtatbeständen des § 3 Abs. 1 ErbStG fokussiert die Nr. 4 den Steuertatbestand auf Vermögensvorteile, die ein "Dritter" beim Tode des Erblassers nicht als Erbe oder Vermächtnisnehmer (oder als Beschenkter im Todesfall) erhält. Vielmehr basiert der Erwerbsgrund auf einem Vertrag (mit dem Erblasser als Vertragspartner), kraft dessen der Dritte unmittelbar einen Vermögensvorteil erwirbt.
Der "klassische" Fall hierzu ist der Vertrag zu Gunsten Dritter auf den Todesfall (s. § 331 Abs. 1 BGB i. V. m. § 328 Abs. 1 BGB), der sich grafisch wie folgt darstellen lässt (s. auch Grüneberg in Grüneberg, Einf., 3–5 vor § 328):
Rz. 402
Die wesentlichen Komponenten bei diesem Dreiecksverhältnis sind:
- das Deckungsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Vertragspartner;
- das Valutaverhältnis, das den Rechtsgrund (die causa) für das Behaltendürfen des Vermögensvorteils beinhaltet; wichtig ist, dass (rechtsgeschäftliche) Mängel des Valutaverhältnisses (auch Zuwendungsverhältnis genannt) den Vertrag zugunsten Dritter insgesamt nicht berühren;
- das Vollzugs- oder Drittverhältnis, das die tatsächliche Leistungserbringung abdeckt.
Ganz allgemein fallen in den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG:
- Lebensversicherungsverträge,
- Unfallversicherungsverträge und
- Ansprüche von Hinterbliebenen aufgrund gesellschafts- und arbeitsrechtlicher Verpflichtungen.
10.2 Die zivilrechtlichen Vorgaben im Einzelnen
Rz. 403
Zur Verdeutlichung dient folgendes Beispiel:
Erblasser W vereinbart direkt mit seiner Bank, die ein Sparbuch bis zu seinem Tode verwahrt, einen Vertrag zu Gunsten Dritter, wonach die Bank nach seinem Tode verpflichtet ist, das Sparbuch (Betrag: 200 TEUR) auf seine Freundin (F) als neue Gläubigerin umzuschreiben.
Lösung:
Zivilrechtliche Ebene:
Wenn die Bank unmittelbar (als sog. "Versprechende") verpflichtet ist, den Betrag auf Wunsch an F auszukehren, liegt ein formfreier Vertrag zu Gunsten Dritter gem. § 331 BGB vor. Die zivilrechtliche Abstimmungsproblematik ist offensichtlich: Während bei einem Schenkungsversprechen auf den Todesfall (s. § 2301 BGB) die Formvorschriften über das Schicksal der Zuwendung entscheiden, soll ein formfreier Vertrag zu Gunsten Dritter nach § 331 BGB den Zuwendenden (den Erblasser) in die Lage versetzen, wesentliche Vermögensbestandteile am Nachlass vorbei zu übertragen (s. R E 3.7 ErbStR 2011). Der Vorrang des (formfreien) § 331 BGB vor dem Formgebot des § 2301 BGB ist zwischenzeitlich auch durch die BGH-Rechtsprechung mehrfach bestätigt worden.
Erbschaftsteuerliche (Folge-)Lösung:
Im Ergebnis liegt seitens F kein Erwerb durch Erbanfall nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 (bzw. Nr. 2) ErbStG, sondern ein Erwerb durch einen Vertrag zu Gunsten Dritter auf den Todesfall nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG i. H. v. 200 TEUR (abzüglich Pauschale und persönliche Freibeträge) vor.
Die Mindestvoraussetzung für die Steuerbarkeit ist allerdings, dass das Valutaverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Dritten alle Merkmale eines unentgeltlichen Übertragungsvorgangs, folglich einer freigebigen Zuwendung enthält (hierzu s. § 7 Rn. 489 ff.).
Rz. 404
Hinweis: Für den wichtigsten Fall eines Vertrages zu Gunsten Dritter auf den Todesfall, d. h. für die Lebensversicherung, ist die Formdiskussion wegen der vorrangigen Formvorschrift nach VVG (s. §§ 159ff. VVG) ohnehin obsolet. Für diesen wirtschaftlich bedeutsamen Fall eines Vertrages zu Gunsten Dritter auf den Todesfall ist offenkundig, dass mit der Prämienzahlung der Nachlass geschwächt wurde. Für eventuelle Nachlassgläubiger (z. B. Pflichtteilsberechtigte) sei angefügt, dass der Ersatzanspruch dieser Personengruppe wegen beeinträchtigender Schenkungen nach § 2325 Abs. 3 BGB gegen die Erben (!) nur auf die während der letzten zehn Jahre eingezahlten Prämien gerichtet ist. Er umfasst also weder den Rückkaufswert noch die eigentliche Versicherungssumme (zu verschiedenartigen Fallkonstellationen und zur Konkurrenz mit § 7 ErbStG s. § 7 Rn. 497 ff.).
Rz. 405–409
vorläufig frei
10.3 Die Lebensversicherung im Erbschaftsteuerrecht
Ausgewählte Literaturhinweise:
Fuhrmann, Bezugsrechte von Kapitallebensversicherungen zugunsten naher Angehöriger, ErbStB 2005, 355 und 2006, 13;
Gebel, Mittelbare Schenkung einer Versicherungssumme durch unentgeltliche Einräumung eines Bezugsrechts aus einer Kapitallebensversicherung, ZEV 2005, 236;
Halaczinsky, Lebensversicherung bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, NWB 2007, Fach 10, 1611;
Hetzer/Götzenberger, Absicherungs- und Gestaltungsstrategien mit Lebensversicherungen für Unternehmer, BB 2009, 2290;
Tölle, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten bei Lebensversicherungen, SteuK 2015, 295;
Tölle, Erbschaftsteuer auf Erwerb eines Anspruchs aus einer Direktversicherung. SteuK 2014, 128;
Leitzen, Lebensversicherungen im Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht, RNotZ 2009, 129.
10.3.1 Grundsätzliche Entscheidungsparameter
Rz. 410
Bei einer Lebensversicherung ist v...