Rz. 816
Der Fall der unentgeltlichen Vermögensübergabe zu Lebzeiten des Erblassers wird jedoch in der Praxis nur dann eintreten, wenn der Übergeber entweder noch sonstige Einkunftsquellen hat, die er sich zum Lebensunterhalt zurückbehält, oder wenn die Vermögensübergabe mit einem Nutzungsvorbehalt, meist Vorbehaltsnießbrauchs, belastet wird, durch den sich der Übergeber die zum Lebensunterhalt erforderlichen Erträge sichert. Wird bei der Vermögensübergabe ein Nießbrauchsvorbehalt vereinbart, stellt dieser schenkungsteuerrechtlich eine bereicherungsmindernde Nutzungsauflage (s. Rn. 399) dar, die allerdings – beim Vorliegen eines Altfalls – beim Bedachten (Übernehmer) in Folge der Regelung des § 25 ErbStG a. F. die Bereicherung nicht mindert, sondern lediglich zu einer zinslosen Stundung der auf den Nießbrauch entfallenden Schenkungsteuer führt. Beim Vorliegen eines Neufalles (ab 01.01.2009) ist die Nutzungsauflage mit ihrem kapitalisierenden Wert bereichungsmindernd zu berücksichtigen. Einkommensteuerrechtlich wird das mit der Auflage des Nießbrauchsvorbehalts belastete Vermögen übertragen, was zur Folge hat, dass die Bestellung des Vorbehaltsnießbrauchs kein zu Anschaffungskosten führendes Entgelt für die Vermögensübernahme darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob Betriebs- oder Privatvermögen übertragen wird. Damit ist auch in Fällen des Nießbrauchvorbehalts eine (voll-)unentgeltliche Übertragung gegeben, so dass der Übernehmer gem. § 6 Abs. 3 EStG bzw. § 11d EStDV die Buchwerte des Übergebers fortführt, soweit er trotz des Vorbehaltsnießbrauchs Erträge erzielt.
Rz. 817
Ob Letzteres der Fall ist, führt zu der der Übertragung nachgelagerten Frage, wie nach Bestellung des Nießbrauchs die weitere laufende Besteuerung aussieht und hängt davon ab, ob der Nießbrauchsbesteller (Übernehmer) oder Nießbrauchsberechtigte (Übergeber) einkommensteuerrechtlich als Inhaber der Einkunftsquelle anzusehen ist. Bei vermieteten Grundstücken und Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2a Satz 3 EStG) ist die Einkunftsquelle beim nießbrauchsberechtigten Übergeber angesiedelt. Die Einkünfte sind daher auch nach der Vermögensübergabe weiterhin dem Übergeber zuzurechnen. Angefallene Werbungskosten und Abschreibungen kann er ebenso geltend machen, wie er einen eventuellen Kapitalertragsteuereinbehalt von seiner Steuerlast in Abzug bringen kann (s. zu vermieteten Grundstücken BMF vom 24.07.1998, BStBl I 1998, 914, Tz. 39 ff.; zu Kapitalvermögen BMF vom 23.11.1983, BStBl I 1983, 508, Tz. 55; FG Düsseldorf vom 15.02.2000, EFG 2000, 676 und zur Anrechnung der KapESt BFH vom 02.10.1959, BStBl III 1960, 36. Einzelheiten zum Vorbehaltsnießbrauch an Privatvermögen vgl. Keller/Schreuck, NWB-EV 2012, 165 sowie Volland, ZEV 2019, 254).
Rz. 818
Wird ein Einzelunternehmen übertragen, ist zu unterscheiden, ob es sich bei dem Vorbehaltsnießbrauch um einen Vollrechtsnießbrauch oder um einen Ertragsnießbrauch handelt. Der Vollrechtsnießbrauch belässt dem Übergeber weiterhin die Unternehmensleitung, so dass der BFH (Urteil vom 26.02.1987, BStBl II 1987, 772) beim Vollrechtsnießbrauch von einem vom Übergeber an den Übernehmer verpachteten Betrieb ausgeht. Danach besteht beim Nießbrauchsbesteller (Übernehmer) der Betrieb als ruhender Betrieb fort, beim Nießbrauchsberechtigten (Übergeber) besteht weiterhin der operative Betrieb (ebenso FA-Erb/Hannes, Kap. 15 Rn. 104; Carlé/Bauschatz in Korn, EStG, § 15 Rn. 149). Hingegen führt beim Ertragsnießbrauch – bei Betriebsübergaben der Regelfall – der Übernehmer das übertragene Unternehmen weiter. Der Übergeber hat nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf die aus dem Einzelunternehmen erwirtschafteten Gewinne. Zurechnungssubjekt der gewerblichen Einkünfte ist daher lediglich der Übernehmer.
Rz. 818a
Mit Urteil vom 25.01.2017 (ZEV 2017, 471 m.Anm. Gräfe) hat der X. Senat des BFH entschieden, dass die Vereinbarung eines Vorbehaltsnießbrauchs die steuerneutrale unentgeltliche Übertragung eines Einzelunternehmens gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließt (ebenso BMF vom 19.11.2019, BStBl I 2019, 1291 Rn. 7). Damit hat der BFH der seit Jahren bestehenden Gestaltungspraxis, Betriebe gegen Vorbehaltsnießbrauch zu übertragen, jedenfalls für Einzelunternehmen, einen Riegel vorgeschoben. Begründet wird das Urteil im Wesentlichen damit, dass § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG an die Vorgängervorschrift des § 7 EStDV anknüpfe und erfordere, dass der Übergeber das Unternehmer nicht weiter betreibe, was bei der Vereinbarung eines Vorbehaltsnießbrauchs nicht der Fall sei (vgl. hierzu auch Kraft, NWB 2017, 2972; Hübner/Friz, DStR 2017, 2353; Dräger, DB 2017, 2768). Die Praxis wird daher im Rahmen der zukünftigen Gestaltungsberatung bei Übertragung von Einzelunternehmen auf Ausweichlösungen, wie bspw. die Zahlung einer Versorgungsrente, ausweichen müssen.
Rz. 819
Die einkommensteuerliche Beurteilung eines Nießbrauchs an einem Anteil an einer Personengesellschaft ist vornehmlich durch das Zivilrecht geprägt. Da früher fraglich war, ob die Bestellung eines Ni...