2.2.1.1 Die erbrechtliche "Zeitachse" und die möglichen Erben

 

Rz. 20

Vor dem Erbfall besteht im Kreise der Angehörigen (bzw. des Ehepartners) nur eine Erbaussicht. Diese stellt kein (übertragbares und vererbbares) Anwartschaftsrecht dar, da der Erblasser eine erbrechtliche Verfügung jederzeit neu treffen bzw. ändern kann (Ausnahmen: der Nacherbe und der Schlusserbe beim Berliner Testament; ähnlich auch der Vertragserbe).

Mit dem Erbfall geht das Vermögen des Erblassers gem. § 1922 Abs. 1 BGB als Ganzes auf den Gesamtrechtsnachfolger von Gesetzes wegen (von selbst und uno actu) über. Der Erbe kann eine natürliche Person, eine Kapitalgesellschaft (inkl. einer Stiftung, einer Genossenschaft, einer Societas Europaea und eines Vereins), eine Personenhandelsgesellschaft (OHG/KG) und nach neuem Verständnis des BGH vom 17.07.2001 (NJW 2002, 1207) auch eine unternehmerische Außen-GbR (BGB-Gesellschaft) sein (s. Scherer/Feick, ZEV 2003, 341). Erbfähig ist nach heute h. M. auch ein nicht-rechtsfähiger Verein (s. Leipold in MüKo, § 1923 BGB Rn. 32). Sollte dennoch bei einem nicht-rechtsfähigen Verein die Erbeinsetzung nicht gelingen bzw. nicht gewollt sein, so wird die Auslegung ggf. eine unmittelbare Erbeinsetzung der Vereinsmitglieder ergeben.

Nach § 1923 Abs. 2 BGB kann schließlich auch der Gezeugte (nasciturus) als Erbe eingesetzt werden, der Erbanfall erfolgt jedoch erst mit der Geburt.

2.2.1.2 Der Grundsatz der Universalsukzession (Gesamtrechtsnachfolge) und seine Grenze

 

Rz. 21

Das Gesetz definiert in § 1922 BGB den erbrechtlichen Vermögensübergang als "Vonselbst­erwerb". Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es der ansonsten vom BGB vorgesehenen Einzel-Übertragungsakte nicht bedarf (so ist z. B. eine Auflassung beim erbrechtlichen Immobilien­übergang nicht erforderlich; nur für die Grundbuchsicherheit muss das Grundbuch berichtigt werden).

Vom automatischen Vermögensübergang kraft Gesetzes – auch "Fußstapfentheorie" bezeichnet – sind alle aktiven Werte (geldwerte Güter) ebenso wie die Schulden (Nachlassverbindlichkeiten, s. §§ 1967 BGB ff.) betroffen.

2.2.1.2.1 Aktive Vermögenswerte

 

Rz. 22

Beim erbrechtlichen Vermögensübergang aktiver Vermögenswerte ist zu beachten:

  • Aktive Werte sind sämtliche vermögensrechtlichen Güter (in der Sprache des BGB: Sachen, Rechte, Anwartschaften, Forderungen etc.). Ebenso sind die (in der Sprache des Steuerrechts) immateriellen Wirtschaftsgüter wie der Geschäfts- und Firmenwert oder ein immaterielles Einzel-Wirtschaftsgut vom Vermögensübergang betroffen.
  • Bei (Einzel-)Unternehmensübertragungen spielt es keine Rolle, ob die Wirtschaftsgüter aktiviert sind oder nicht (wie etwa der originäre Geschäfts- und Firmenwert).
  • Die Position des Inhabers eines Bankkontos (Girokonto, Festgeldguthaben) ist ebenso vererblich wie eine evtl. erteilte Vollmacht, also ein Gestaltungsrecht, das vom Erblasser von selbst auf den Erben übergeht (s. §§ 168, 672 BGB).
  • Schließlich gehen urheberrechtliche Positionen und vergleichbare Schutzrechte (z. B. nach Verlags- oder Patentrecht) auf den Erben über.
  • Auch latente (Vermögens-)Rechtsbeziehungen wie z. B. ein einseitiges Gestaltungsrecht (auf Kündigung oder auf Widerruf) sind von § 1922 BGB mit umfasst.
  • Anteile an Kapitalgesellschaften bilden eine geschlossene Nachlassgruppe, die gem. § 15 Abs. 1 GmbHG ohne weitere Sonderregelung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den/die Erben übergeht, soweit die Satzung keine Vinkulierungsklausel (s. § 15 Abs. 5 GmbHG) enthält.
  • Eine Sonderregelung sieht das BGB für den Besitzübergang vor. Nachdem dieser durch die unmittelbare Sachherrschaft definiert ist und diese beim Erben häufig fehlt (Beispiel: Erbe im Ausland, "unbekannter" Erbe), sieht § 857 BGB die Fiktion des Erbenbesitzes vor. Der Erbe gilt immer als Besitzer und kann somit entsprechende Schutzrechte geltend machen. Gegen den falschen Erbschaftsbesitzer ist der wahre Erbe durch besondere Herausgabeansprüche geschützt (s. §§ 2018ff. BGB).
  • Eine Besonderheit tritt in den Fällen ein, in denen der Erblasser eine Forderung gegen den Erben oder eine (dingliche) Rechtsposition hatte, mit welcher der Erbe belastet war. In diesen Fällen kommt es zu einer "Implosion" der jeweiligen Rechtsbeziehungen, die in sich zusammenfallen und die man bzgl. der Forderungen als Konfusion und bzgl. der Rechte als Konsolidation bezeichnet (statt aller s. Weidlich in Grüneberg, § 1922 Rn. 6; s. aber § 10 Abs. 3 ErbStG, wonach diese – in sich zusammenfallenden – Rechtspositionen der Erbschaftsteuer unterworfen werden).

2.2.1.2.2 Schuldenübergang von Todes wegen

 

Rz. 23

Nach § 1922 BGB geht nicht nur das Aktivvermögen auf den/die Erben über. Vielmehr beinhaltet der ganzheitliche Vermögensübergang auch die Übernahme der Schulden (so ausdrücklich § 1967 BGB). Wegen der Vereinigung des Eigenvermögens und des Erblasservermögens und der damit einhergehenden Gefährdung der jeweiligen Gläubigeransprüche sieht das Erbrecht in den §§ 1975ff. BGB die Möglichkeit der Trennung beider Vermögensbestandteile vor (Nachlasspflegschaft bzw. Nachlassinsolvenz). Übereinstimmend mit dieser Nachlassregelung definiert im Steuerrecht § 45 Abs. 2 AO auch die Haftung des Erben für steuerliche Nachlassverbindlichkeiten.

 

Rz. 24

Konform mit dem Z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Preißer, Erbschaft- und Schenkungsteuer (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?