Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 169
In zivilrechtlicher Hinsicht haften die einzelnen Miterben für die gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten bis zur Teilung als Gesamtschuldner (s. § 2058 BGB). Daneben besteht für den Gläubiger der Miterbengemeinschaft die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Miterben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit (s. § 2059 Abs. 2 BGB). Nach § 45 Abs. 2 AO gelten diese Haftungsgrundsätze in gleicher Weise für Steueransprüche.
Rz. 170
Unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten geht nach § 45 Abs. 1 AO das Schuldverhältnis mit dem Tod des Erblassers auf die Erben über. Die weitere Frage, wie davon der einzelne Miterbe betroffen ist, richtet sich nach §§ 2032ff. BGB, insbesondere nach den dortigen Verwaltungsbefugnissen (s. § 2038 BGB mit dem Verweis auf das Recht der Bruchteilsgemeinschaft; hierzu – insb. zu den Notverwaltungsrechten –BGH vom 06.03.2008, NJW-RR 2008, 759). Umgekehrt ergeben sich für den Gläubiger aufgrund der gesamtschuldnerischen Verbundenheit der Miterben erleichterte Zugriffsmöglichkeiten (wie etwa der Erlass eines zusammengefassten Bescheides nach § 155 Abs. 3 AO). Dabei trifft § 171 Abs. 12 AO eine gesetzliche Wertentscheidung zugunsten einer "Individualschuld" des einzelnen Miterben, wenn der Fristenlauf für dessen Inanspruchnahme von der Annahme seiner Erbschaft abhängt.
Rz. 171
Die dogmatisch schwierige Frage, inwieweit der einzelne Miterbe auch die materielle Steuerschuld des Erblassers übernimmt, wird dogmatisch mit dem Stichwort "Doppeltatbestandstheorie" umschrieben. Danach verwirklichen Erblasser und der/die Erben jeweils eigene Steuertatbestände. Dieser für laufende Steuern (Einkommensteuer) geltende Grundsatz bedeutet, dass vom Erblasser überlassene "unfertige Steuerrechtslagen" (z. B.: AfA bei einem noch nicht abgeschriebenen Objekt) in der Person des/der Erben neu realisiert werden (§ 11d EStDV ist nur die Brücke zwischen den beiden Rechtsleben und legt die Bemessungsgrundlage fest). Für bereits vom Erblasser realisierte Steuerschulden gilt das bereits dargestellte Haftungsszenario nach § 45 Abs. 2 AO. Bei der Erbschaftsteuerschuld nach § 20 Abs. 3 ErbStG, die die h. M. im Steuerrecht als Erbfall- und Eigenschuld und nicht als Nachlassverbindlichkeit einordnet, handelt es sich um die Schuld des einzelnen Miterben. Der spätere interne Ausgleich ändert nichts an dieser Charakterisierung.
Rz. 172
Problematisch ist bis zum heutigen Tage die Frage, inwieweit genuine (d. h. keine von einem Kompetenzobjekt wie Gebäude, Betrieb abgeleiteten) Steuermerkmale) auf die Miterben übergehen.