3.4.1 Nachvermächtnis
Rz. 68
Bei einem Nachvermächtnis gibt der Erblasser dem Vermächtnisnehmer auf, den Vermächtnisgegenstand zu einem bestimmten Zeitpunkt oder beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses an den Nachvermächtnisnehmer weiterzugeben (§ 2191 Abs. 1 BGB). Zivilrechtlich stellt das Nachvermächtnis einen speziellen Fall des Untervermächtnisses dar, bei dem Identität des Vermächtnisgegenstandes besteht. Vom Ersatzvermächtnis unterscheidet sich das Nachvermächtnis dadurch, dass dem Vermächtnisnehmer in zeitlicher Reihenfolge ein zweiter (Nach-)Vermächtnisnehmer folgt, während der Ersatzvermächtnisnehmer an die Stelle des Vermächtnisnehmers tritt.
Rz. 69
Bereits zivilrechtlich sind die Vorschriften der Vor- und Nacherbschaft teilweise auf das Nachvermächtnis anwendbar (§ 2191 Abs. 2 BGB). Es liegt daher nahe, dass § 6 Abs. 4 ErbStG Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich stellt (Einzelheiten vgl. FG Hamburg vom 11.01.2012, DStRE 2012, 1452, rkr.; FG Düsseldorf vom 22.11.2016, ZEV 2017, 111 sowie auch Hartmann, ZEV 2007, 458). Liegt dem Nachvermächtnisfall daher der Tod des Vorvermächtnisnehmers zu Grunde, so erwirbt der Nachvermächtnisnehmer analog § 6 Abs. 2 ErbStG vom Vorvermächtnisnehmer, der fiktiv die Stellung eines Vorerben einnimmt. Der Nachvermächtnisnehmer kann aber analog § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG den Antrag stellen, nach dem Verhältnis zum Erblasser besteuert zu werden. Liegt dem Nachvermächtnisfall ein anderer Umstand als der Tod des Vorvermächtnisnehmers zu Grunde, so kommt § 6 Abs. 3 ErbStG analog zur Anwendung. Auch die Erwerbstatbestände vor Eintritt des Nacherbfalls (s. Rn. 35 ff.) können beim Nachvermächtnis zur Anwendung gelangen. Hat der Erblasser die Erben mit einem Vermächtnis beschwert, das der (Vor-)Vermächtnisnehmer nach Ableben auf einen Dritten, den Nachvermächtnisnehmer, zu übertragen hat und verzichtet dieser (der Nachvermächtnisnehmer) gegen eine Abfindungszahlung auf sein Anwartschaftsrecht aus dem Nachvermächtnis, liegt unter Anwendung von § 6 Abs. 4 ErbStG ein steuerpflichtiger Vorgang gem. § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG i. H. d. Abfindungszahlung vor (s. BFH vom 19.04.1989, BStBl II 1989, 623, Sachverhalt vereinfacht dargestellt). In der Praxis hat das Nachvermächtnis allerdings nur eine geringe Bedeutung.
3.4.2 Beim Tod des Beschwerten fälliges Vermächtnis oder fällige Auflage
Rz. 70
Dem Nachvermächtnis und somit der Nacherbfolge gleichgestellt ist des Weiteren ein beim Tod des Beschwerten fälliges Vermächtnis (betagtes Vermächtnis), also Fälle, in denen der Erblasser ein Vermächtnis anordnet, das allerdings erst mit dem Tod des (mit dem Vermächtnis beschwerten) Erben fällig wird. Im Unterschied zum Nachvermächtnis handelt es sich hier nicht um zwei Vermächtnisnehmer in zeitlicher Reihenfolge, sondern um ein (normales) Vermächtnis, mit der Besonderheit einer bis zum Tod des Beschwerten hinausgeschobenen Fälligkeit. Durch die Gleichbehandlung eines solchen Vermächtnisses mit der Nacherbfolge wird erreicht, dass der Vermächtniserwerb als vom Beschwerten gilt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG analog), wobei allerdings die Antragsmöglichkeit nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG besteht (s. R E 6 Satz 6 ErbStR; bestätigt durch BFH vom 31.08.2021, BFH/NV 2022, 287) und der Beschwerte die Vermächtnislast nicht nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abziehen kann. Allerdings gesteht die Finanzverwaltung beim Tod des Beschwerten den Abzug einer Erblasserschuld gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu (s. R E 6 Satz 4 ErbStR). Bei einem betagten Vermächtnis hat der Vermächtnisnehmer den Erwerb daher als Erwerb vom beschwerten Erben oder wahlweise als vom (ursprünglichen) Erblasser zu versteuern.
Rz. 71
In der Praxis kommen derartige Gestaltungen insb. bei einem mit einer Jastrow’schen Klausel versehenen Berliner Testament vor (s. auch Engel in Wilms, § 6 Rn. 33; Löcherbach in V/S/W, § 6 Rn. 40). Ist dort vorgesehen, dass Kinder, die nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil nicht geltend machen, ein Vermächtnis i. H. d. Pflichtteils erhalten, das allerdings erst mit dem Tod des letztversterbenden Ehegatten fällig wird, so ist das Vermächtnis von den Kindern (Schlusserben) als Erwerb vom letztversterbenden Ehegatten zu versteuern, was infolge des gleichzeitigen Erbanfalls zu einer steuerlich nachteiligen Vermögenskumulation führt. Die Attraktivität der Jastrow’schen Klausel sowie die Intention der Erblasser wird daher durch § 6 Abs. 4 ErbStG zumindest relativiert. Ausweichgestaltungen, die allerdings noch nicht endgültig gerichtlich überprüft sind, bestehen darin, das Vermächtnis nicht mit dem Tod des letztversterbenden Ehegatten, sondern erst kurze Zeit später fällig werden zu lassen. Dann ist § 6 Abs. 4 ErbStG vom Wortlaut nicht einschlägig, da dieser ausdrücklich nur auf ein beim Tod des Beschwerten fälliges Vermächtnis abstellt. Der Schlusserbe erhält das Vermächtnis – auch steuerlich – vom vorverstorbenen Ehegatten zugewandt. Ob diese Gestaltung allerdings § 42 AO standhält, bleibt abzuwarten (s. Daragan, DStR 1999, 393 einerseits und Steiner, ErbStB 2004, 164 ff. sowie Meyer, ZEV 1998,...