Rz. 201
Das Vermächtnis begründet für den Vermächtnisnehmer einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung gegen den oder die Erben, ändert jedoch auch beim Sachvermächtnis (oder Stückvermächtnis) nichts daran, dass die vermachten Vermögensgegenstände zunächst in das Vermögen des oder der Erben übergehen. Bei einem Grundstücksvermächtnis bedeutet dies z. B., dass der oder die Erben verpflichtet sind, das Grundstück an den Vermächtnisnehmer zu übereignen und das Vermächtnis zu erfüllen.
Rz. 202
Für die Erbschaftsteuer bedeutet dies, dass die Vermögensgegenstände auch von den Erben der Erbschaftsteuer zu unterwerfen sind. Da insoweit aber keine endgültige Bereicherung der Erben vorliegt, können diese die Vermächtnislast als Erbfallschuld gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abziehen. Zur Frage der Bewertung von hinreichend konkretisierten Sachvermächtnissen s. § 3 Rn. 240 (= Steuerwert des Gegenstandes); zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Gestaltung von Testamenten s. Geck, ZEV 2006, 201 ff.
Rz. 203
Vermächtnisse, die erst beim Tod des Beschwerten fällig sind, können gem. § 6 Abs. 4 ErbStG nicht abgezogen werden (s. § 6 Rn. 70).
Rz. 204
Eine besondere Form des Vermächtnisses ist das sog. Kaufrechtsvermächtnis. Erwerbsgegenstand eines Übernahme- oder Kaufrechtsvermächtnisses ist die aufschiebend bedingte Forderung des Vermächtnisnehmers gem. § 2174 BGB gegen den Beschwerten. Die Forderung aus Übernahme- oder Kaufrechtsvermächtnissen ist nicht mit dem Steuerwert des vermachten Gegenstandes zu bewerten, sondern mit dem gemeinen Wert, von dem der festgelegte Kaufpreis abzuziehen ist. Bei dem Erben liegt in Höhe dieses Differenzbetrags eine Nachlassverbindlichkeit i. S. d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vor (vgl. BFH vom 13.08.2008, BFH/NV 2008, 1760).
Rz. 205
Übt der Vermächtnisnehmer beim Kaufrechtsvermächtnis seine Option zum Abschluss eines Kaufvertrages nicht aus, so muss er nichts versteuern.
Rz. 206
Ebenso wie Kaufrechtsvermächtnisse sind auch sog. Verschaffungsvermächtnisse zu behandeln, bei denen der Erbe verpflichtet ist, einen gattungsmäßig bestimmten Gegenstand zu beschaffen und an den Vermächtnisnehmer zu übereignen. Auch diese sind mit dem gemeinen Wert des Gegenstandes zu bewerten (s. BFH vom 28.03.2007, BStBl II 2007, 461; Ebeling, ZEV 2007, 344).
Rz. 207
Ebenfalls unter § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG fallen Vorausvermächtnisse, also Vermächtnisse, die zugunsten eines Erben angeordnet worden sind (s. § 2150 BGB). Im Regelfall ist der Vorausvermächtnisnehmer gleichzeitig auch mit dem Vermächtnis selbst beschwert (s. §§ 2147 Satz 2, 2150 BGB). Der Erblasser hat jedoch die Möglichkeit, das Vermächtnis auch allein anderen Erben aufzuerlegen. Dies hat Auswirkungen auf die Höhe des Erwerbs des Vorausvermächtnisnehmers und der anderen Erben.
Erben des E sind X und Y zu gleichen Teilen. Der Erblasser hat zugunsten des X ein Vermächtnis über ein Bild (Wert: 100.000 EUR) angeordnet. Wert des Nachlasses (inklusive Bild): 500.000 EUR.
- Es liegt keine Anordnung zur Frage vor, wer mit dem Vermächtnis belastet ist.
- Das Testament ordnet an, dass allein Y das Vermächtnis tragen soll.
Lösung:
Rz. 208
Für die Erbschaftsteuer bedeutet dies, dass der Vorausvermächtnisnehmer im Regelfall das Vermächtnis einerseits der Besteuerung unterwerfen muss und dieses andererseits als anteilige Nachlassverbindlichkeit abziehen kann.
Rz. 209
Es besteht auch die Möglichkeit, sog. Untervermächtnisse, bei denen der Vermächtnisnehmer seinerseits eine Leistung an einen Dritten zu erbringen hat, anzuordnen. In diesem Fall ist das Untervermächtnis beim Vermächtnisnehmer als Erbfallschuld zu berücksichtigen.
Rz. 210
Möglich ist auch die Aussetzung sog. Supervermächtnisse. Das sind Vermächtnisse, bei denen der Gegenstand der Leistung, die Bedingungen und der Zeitpunkt der Erfüllung in das Belieben des Beschwerten oder eines Dritten, also des Erben gestellt werden (s. Mayer, DStR 2004, 1409, 1412). Damit diese nicht unter § 6 Abs. 4 ErbStG fallen, ist darauf zu achten, dass für die Fälligkeit zumindest ein Auffangtermin bestimmt ist, der nicht in Beziehung zum Tod des Beschwerten steht und auch nicht so spät gewählt ist, dass der Beschwerte realistischerweise zuvor versterben wird (s. Everts, NJW 2008, 557, 558). Idealerweise wird explizit angeordnet, dass es im freien Ermessen des Beschwerten oder Dritten liegen soll, sowohl den Gegenstand der Leistung als auch den Zeitpunkt der Erfüllung festzulegen.