Dipl.-Finanzwirt Jörg Ramb
Ausgewählte Literaturhinweise:
Christ, Nachrangig eingeräumtes Nießbrauchsrecht ist keine aufschiebende Bedingung/BFH lehnt entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 1 BewG ab, NWB Online-Beitrag vom 25.09.2020; Mannek, Anteile an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer/Gleich lautende Erlasse vom 09.10.2013, NWB 2013, 3449.
1 Bedingung
1.1 Allgemeines
Rz. 1
Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs i. R.d. Erbschaft- und Schenkungsteuerfestsetzung ist zunächst die Frage zu klären, welche Vermögenswerte dem Grunde nach dazugehören. Zum Besteuerungszeitpunkt (§ 9 ErbStG) sollen mögliche, in der Zukunft liegende Vermögensveränderungen unberücksichtigt bleiben, auch wenn ihr Eintritt wahrscheinlich ist.
Rz. 2
Ist in einem Rechtsgeschäft eine Bedingung (die Rechtswirkung eines Vertrages wird kraft Parteivereinbarung von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht) als Nebenabrede enthalten, kann sie aufschiebenden oder auflösenden Charakter haben. Bei einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) tritt die Wirkung eines Rechtsgeschäfts erst mit dem Eintritt der Bedingung ein; solange die Bedingung noch nicht eingetreten ist, besteht hinsichtlich des beabsichtigten Rechtserfolgs ein Schwebezustand. Bei einer auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) tritt umgekehrt die Wirkung des Rechtsgeschäfts sofort ein, endigt jedoch mit dem Eintritt der Bedingung.
Rz. 3
Nach den §§ 4 bis 7 BewG, die sich den zivilrechtlichen Regelungen anschließen, werden Vermögenswerte, deren Erwerb vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängt, erst berücksichtigt, wenn die Bedingung eingetreten ist. Unter einer aufschiebenden Bedingung stehende Lasten sind nur zu berücksichtigen, soweit sie bei der Steuerfestsetzung oder während eines dagegen gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens bereits infolge Bedingungseintritts entstanden sind. Bei den §§ 4 bis 7 BewG handelt es sich um Regelungen mit stichtagsdurchbrechender Wirkung, die darauf abzielen, Ereignisse erst dann zu berücksichtigen, wenn sie tatsächlich eingetreten sind. Dies berührt nicht die Frage der Ermittlung des "Wie", sondern beschränkt nur das "Was" der Bewertung. Danach sind zum Bewertungsstichtag die tatsächlichen und nicht die auf einen bestimmten späteren Stichtag prognostizierten Verhältnisse maßgebend.
Rz. 4
Ob die Entstehung als aufschiebend oder auflösend bedingt anzusehen ist, ist nicht davon abhängig, ob der Eintritt des Ereignisses wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist. Auf das Maß der Aussichten für den Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung kommt es nicht an (BFH vom 14.07.1967, BStBl II 1967, 770). Insoweit wird die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausdrücklich ausgeschaltet (R B 4 Abs. 2 Satz 4 bis 6 ErbStR). Die Vorschriften gelten auch dann, wenn nicht nur einzelne Vermögenswerte bedingt erworben werden, sondern der Erwerb an sich bedingt ist (z. B. ein Schenkungsversprechen).
Rz. 5
In den Fällen des § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 BewG ist die ursprüngliche bestandskräftige Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) mit Wirkung für die Vergangenheit zu berichtigen.
1.2 Aufschiebend bedingte Lasten (§ 6 BewG)
Rz. 6
§ 6 Abs. 1 BewG untersagt den Abzug von Verpflichtungen, die am Bewertungsstichtag zivilrechtlich (noch) nicht entstanden sind (BFH vom 29.07.1998, BFH/NV 1999, 293). Die Norm stellt ihrem Wortlaut nach auf die rechtliche "Entstehung" der Verpflichtungen, nicht auf die Möglichkeit ihrer Geltendmachung oder zwangsweisen Durchsetzung durch den Berechtigten ab.
Mit dem Ausdruck "Bedingung" knüpft § 6 Abs. 1 BewG an das bürgerliche Recht an (BFH vom 11.01.1961, BStBl III 1961, 162). Bedingung ist danach die einem Rechtsgeschäft beigefügte Bestimmung, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängen. Gemäß § 158 Abs. 1 BGB tritt die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig gemachte Wirkung des Rechtsgeschäfts erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Solange die Bedingung nicht eingetreten ist, liegt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Ungewissen bzw. schwebt (BFH vom 30.04.1959, BStBl III 1959, 315).
Beispiel 1:
A erbt am 01.04.02 einen Gewerbebetrieb. Er ist verpflichtet, seiner Schwester S bei deren Eheschließung 300.000 EUR auszuzahlen. Sie heiratet am 01.07.05.
Lösung:
A hat zum 01.04.02 durch Erbanfall eine aufschiebend bedingte Last erworben, die zunächst keine Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit finden kann (§ 6 Abs. 1 BewG). Mit Eintritt der Bedingung (Heirat) kann A einen Antrag auf Berichtigung der ursprünglichen Festsetzung stellen (da zu seinen Gunsten, § 6 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 2 BewG und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). Die ursprüngliche Erbschaftsteuerfestsetzung zum 01.04.02 ist zu berichtigen. Die Nachlassverbindlichkeit ist jetzt mit ihrem Gegenwartswert nach § 12 Abs. 3 BewG zu berücksichtigen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG).
S hat zum 01.04.02 noch keinen Erwerb (§ 4 BewG). Der Eintritt der Bedingung (Heirat) führt bei ihr zu einem Erwerb v.T.w. (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt./§ 3 Abs...